Beim Ukraine-Krieg geht es nicht um die Ukraine

Florian Rötzer

Erschienen am 27. April 2022 bei Krass & Konkret
und am 29. April 2022 bei Telepolis

US-Verteidigungsminister Lloyd Austin gibt auf dem US-Stützpunkt Ramstein die Marschrichtung für die Alliierten vor. Bild: DoD

Washington will Russland durch einen Sieg der Ukraine schwächen, um die US-amerikanische „regelbasierte internationale Ordnung“ durchzusetzen. Dazu sollen „Himmel und Erde in Bewegung versetzt werden“. Das extrem hohe Risiko eines Welt- oder Atomkriegs wird beiseitegeschoben.

Die deutsche Regierung hat am vergangenen Dienstag unter dem Druck der Koalitionspartner und der USA sowie der übrigen Nato-Staaten und der 14-Nicht-Nato-Länder beim Treffen auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein nachgegeben und erklärt, man werde auch schwere Waffen aus „deutscher Produktion“ in Form von 50 gebrauchten oder alten Flakpanzern des Typs Gepard in die Ukraine liefern und ukrainische Soldaten in Deutschland zusammen mit den USA und den Niederlanden ausbilden (siehe: Direktlieferung deutscher Panzer an die Ukraine). Jetzt also wird auch Deutschland den lange geforderten symbolischen Beitrag zur Verteidigung der Ukraine leisten, die bis zum Sieg durchhalten soll.

Der Panzer Gepard wurde bis 2010 von der Bundeswehr genutzt. Der Bundessicherheitsrat hat die Ausfuhr bereits genehmigt. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht sagte nach dem Treffen: „Das ist genau das, was die Ukraine jetzt braucht.“

Man könnte nach den kürzlich gemachten Äußerungen des US-Verteidigungsministers Austin eher sagen, schwere Waffen sind das, worauf die USA und die Nato setzen, um Russland für lange Zeit militärisch und wirtschaftlich zu schwächen. Die angebliche Verteidigung der freien Welt in der Ukraine ist dafür ein probates Mittel (US-Verteidigungsminister: Russland so schwächen, dass es keinen Krieg mehr führen kann).

Die Ausbildung ukrainischer Soldaten „auf deutschem Boden“, so Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD), werde „gemeinsam mit unseren amerikanischen Freunden“ und mit den Niederlanden geschehen.

Die amerikanischen Freunde hatten bereits vor dem Krieg ukrainische Soldaten in der Ukraine und in den USA ausgebildet, darunter auch Mitglieder des Regiments Asow und anderen Freiwilligenverbänden wie C14 oder dem Rechten Sektor, die der Nationalgarde und damit dem Innenministerium unterstehen, aber auch Teil der Streitkräfte sind und eine gewisse Selbständigkeit haben (Seit Jahren hat die CIA auch in den USA ukrainische Spezialkräfte ausgebildet). Vor allem sind durch ihre extrem nationalistische, teils neonazistische Ideologie bekannt und berüchtigt. Man wird sehen, ob Deutschland nur Soldaten der regulären Truppen oder auch solche Militanten ausbildet, zu denen mitunter Rechtsextreme aus Deutschland und der ganzen Welt gehen, um Kampferfahrung zu sammeln?

Die deutsche Verteidigungsministerin Lambrecht darf oder muss neben dem US-Minister sitzen, aber nicht so nah wie der ukrainische Verteidigungsminister. Bild: DoD

Der US-Verteidigungsminister Austin hat nach seinem gemeinsam mit Außenminister Blinken absolvierten Pflichtbesuch beim ukrainischen Präsidenten Selenskij in Kiew – wenn sie denn wirklich in Kiew waren – die Strategie der US-Regierung deutlich gemacht. Ich will noch einmal zitieren:

„Wir wollen, dass Russland so weit geschwächt wird, dass es das, was es beim Einmarsch in die Ukraine getan hat, nicht mehr tun kann. Es hat bereits eine Menge militärischer Fähigkeiten und, offen gesagt, viele seiner Truppen verloren. Und wir wollen, dass sie nicht in der Lage sind, diese Fähigkeit sehr schnell wiederherzustellen.“

Lloyd J. Austin, US-Verteidigungsminister

Das läuft, wenn Russland nicht klein beigibt, auf eine direkte Konfrontation USA/Nato hinaus, was seit Beginn des Krieges provoziert wird, auch wenn ständig beschworen wird, dass man „nur“ Waffen und Geld liefert, aber nicht zum Kriegsteilnehmer werden will. Ein äußerst riskantes Spiel, bei dem alle Nato-Staaten brav mitspielen, schließlich ist die Gefahr hoch, dass ein Atomkrieg ausbrechen kann, wenn Russland sich zu sehr gefährdet sieht – und der Angriffskrieg gegen die Ukraine war auch bereits Folge der von der russischen Führung als solche wahrgenommenen Gefährdung durch die USA und Nato. Das sollte alle Warnglocken läuten lassen, aber offenbar setzen die Amerikaner und ihre Koalition voraus, dass Russland schon keine Atomwaffen einsetzen wird – was auch nicht in der Ukraine geschehen muss.

In Ramstein schob Austin nach, was dazu auch von der Koalition der Willigen gefordert wird: Waffen, Waffen, Waffen. Und klar machte Austin auch, dass die USA die Marschrichtung angeben:

Wir sind hier, um der Ukraine zu helfen, den Kampf gegen die ungerechte Invasion Russlands zu gewinnen – und um die Ukraine für die Herausforderungen von morgen zu wappnen.

Lloyd J. Austin

Er verwies auf die Dringlichkeit, schnell zu handeln (und ohne groß ins Nachdenken zu kommen):

Ich möchte, dass diese ganze Gruppe heute mit einem gemeinsamen, transparenten Verständnis der kurzfristigen Sicherheitsanforderungen der Ukraine abreist – denn wir werden weiterhin Himmel und Erde in Bewegung setzen, um sie zu erfüllen.

Lloyd J. Austin

Austin brachte die Moral beim angeblichen Kampf um die Freiheit ins Spiel, machte aber auch klar, dass es nicht um die Ukraine geht, sondern eigentlich um die „regelbasierte internationale Ordnung“, die von Washington kontrolliert wird. Die Ukraine wird gebraucht, um Russland klein zu kriegen. Wahrscheinlich ist die Strategie, die Allianz Russland-China aufzubrechen. Mit einem Russland, das militärisch geschwächt ist, können die USA, was schon längst ausgemachtes Ziel ist, direkt gegen den Hauptkonkurrenten um die Weltmacht antreten, gegen China.

Amerikanische Kriegsziele

Die New York Times stellt ganz richtig eine Veränderung der amerikanischen Kriegsziele fest. Man kann sich allerdings fragen, ob diese nicht schon seit 2014 bestehen.

Jetzt gehe es Washington nicht mehr um einen Kampf über die Kontrolle über die Ukraine, sondern um einen Kampf, der die USA direkter gegen Russland stellt, bemerkte die Zeitung am Anfang dieser Woche.

Zuvor hatte Präsident Biden immer wieder betont oder vorgegeben, dass keine US-Truppen in den Konflikt einsteigen oder dass keine Flugverbotszone eingerichtet werde, aber das Engagement wurde dann sukzessive offensiver. Angeblich sollte die Bemerkung, dass Russland geschwächt werden soll, die Ukraine stärken, aber ähnlich wie die USA 2001 den langen globalen Krieg gegen den Terror ausriefen, sollen nun die Alliierten wohl auf einen langen und neuen Kalten Krieg eingestimmt werden, der jederzeit in einen heißen umschlagen kann:

Längerfristig jedoch wird Austins Beschreibung von Amerikas strategischem Ziel Präsident Wladimir W. Putin in seiner oft geäußerten Überzeugung bestärken, dass es bei dem Krieg in Wirklichkeit um den Wunsch des Westens geht, die russische Macht zu schwächen und seine Regierung zu destabilisieren.

Indem sie das US-amerikanische Ziel ausgeben oder darstellen als „ein geschwächtes russisches Militär“, werden Austin und andere in der Biden-Administration deutlicher, was sie als Zukunft sehen: einen jahrelangen ständigen Kampf um Macht und Einfluss mit Moskau, der in gewisser Weise dem ähnelt, was Präsident John F. Kennedy als den „long twilight struggle“ des Kalten Krieges bezeichnete.

New York Times

Auffällig ist, dass Austin mit keinem Wort auf die Gefahr eines Atomkrieges eingeht. Wenn Russland so geschwächt werden soll, dass es nicht einmal mehr einen solchen Krieg wie gegen die von den USA seit 2015 mit Milliarden hochgerüstete Ukraine führen kann, wird die Folge sein, dass die Putin-Regierung gestürzt wird, wodurch Russland ins Chaos von Machtkämpfen gerät und womöglich zerfällt – was Europa nicht gerade sicherer machen wird.

Oder die russische Führung wird zu immer stärkeren Mitteln greifen, um die Souveränität des Staats zu sichern – womöglich bis zum Einsatz von Atomwaffen. Russland könnte beispielsweise eine Atomwaffe in großer Höhe über den USA explodieren lassen, ohne direkt einen Ort anzugreifen, um aber das ganze Land durch den dadurch erzeugten elektromagnetischen Impuls (NEMP) lahmzulegen, bei dem alle ungehärteten elektronische Systeme zumindest kurzfristig ausfallen.

Der russische Außenminister Lawrow hat gerade wieder vor der Möglichkeit eines dritten Weltkriegs und eines Atomkriegs gewarnt, was man durchaus sehr ernst nehmen sollte. US-Staatssekretärin Nuland hat zwar bereits der Ukraine versichert, man werde auf den Einsatz von Atomwaffen in der Ukraine entsprechend reagieren, aber nicht weiter erläutert, wie das aussehen wird.

Natürlich werden im Pentagon Pläne geschmiedet, wie man sich im Fall eines Einsatzes von Atomwaffen verhalten wird, um dann selbstverständlich zuerst die USA zu schützen. Aber man muss sich fragen, wie man das von Austin ausgegebene Ziel erreichen will, dass Russland für lange Zeit geschwächt ist, wozu die Ukraine und die Ukrainer als eine Art Bodentruppen ge- oder missbraucht werden, wenn das Land weiterhin Atomwaffen besitzt, die auch in die USA reichen und einen Overkill ermöglichen?

Dazu hört man aus Washington nichts, auch nicht von den auf die militärische Lösung versessenen Grünen, Liberalen und Schwarzen (Mitgliedern der Union).

Auf zur neuen Weltordnung

Frederik Kempe, Präsident des Think Tanks Atlantic Council, erklärte kürzlich, dass eine neue Weltordnung im Entstehen sei und sie durch den Ukraine-Krieg befördert werden könne:

Die Schlussfolgerung ist verlockend: Sollte die Ukraine als unabhängiges, souveränes und demokratisches Land überleben, werden die von den USA und Europa unterstützten Kräfte gegen die zuvor aufstrebenden russisch-chinesischen Kräfte des Autoritarismus, der Unterdrückung und (zumindest im Falle Putins) des Bösen wieder an Kraft gewinnen.

Frederik Kempe, Atlantic Councel

Kempe erklärt dazu, die Welt sei auf die neue von Washington kontrollierte Weltordnung – die von Austin beschworene „regelbasierte internationale Ordnung“ – noch nicht vorbereitet. Es stehe Großes auf dem Spiel:

Die Frage ist nicht, wie die neue Weltordnung aussehen wird, sondern vielmehr, ob die USA und ihre Verbündeten durch die Ukraine die Erosion der Errungenschaften des letzten Jahrhunderts rückgängig machen können, um so einen ersten Schritt zur Schaffung der ersten wirklich „globalen“ Weltordnung zu tun.

Frederik Kempe, Atlantic Councel

Versuche dazu habe es nach dem Ersten Weltkrieg, nach dem Zweiten Weltkrieg und nach dem Ende des Kalten Kriegs gegeben. Die nach dem Kalten Krieg etablierte internationale Ordnung wurde durch die Nato-Osterweiterung und durch im Westen nach dem Zweiten Weltkrieg eingerichtete Institutionen wie Weltbank, IMF oder EU begründet. Aber dann setzte eine Erosion ein, bedingt durch ein Nachlassen von Washington, die internationale Ordnung, also die amerikanische Ordnung, zu stützen und zu verteidigen. Das soll jetzt anders werden:

Der russische Außenminister Sergej Lawrow besuchte diese Woche Neu-Delhi, um Indien für seine Weigerung zu danken, sich den Sanktionen gegen Russland anzuschließen, eine Haltung, die von Brasilien, Mexiko, Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten geteilt wird. „Wir sind bereit, Indien mit allen Waren zu beliefern, die es kaufen möchte“, sagte Lawrow.

Um die künftige Weltordnung zu gestalten, müssen die USA und Europa zunächst die Entwicklung des westlichen und demokratischen Niedergangs in der Ukraine umkehren. Der Rest wird folgen müssen.

Frederik Kempe, Atlantic Councel

In der Ukraine wird die Schlacht um die globale Kontrolle ausgefochten. Aber darüber wird nicht gesprochen, weil angeblich der Westen nur auf Russland reagiert und die Ukraine schützen will. Jetzt ist man immerhin schon so weit, dass es nicht um einen Waffenstillstand oder Friedensverhandlungen geht, sondern um einen nicht näher ausformulierten „Sieg“ der Ukraine als Handlanger der westlichen Interessen, die eine multipolare Welt zugunsten einer amerikanischen Vorherrschaft bekämpfen.

Nach Russland, sollte es keinen dritten Weltkrieg geben, geht es gegen China. Dumm nur, dass man mit Waffen und Kriegen die Klimaerwärmung, die Umweltzerstörung und das Artensterben nicht lösen kann. Das würde globale Kooperation, keine US-amerikanisch dominierte internationale Ordnung erfordern.

AUSGEWÄHLTE KOMMENTARE

Quer und mehr 27. April 2022 um 01:25:

Es geht wirklich nicht um die Ukraine. Die USA haben nicht nur Nordstream 2 verhindert, sondern gleich jede zukünftige Handelsbeziehung mit Russland. Die EU ist nun also gezwungen sich noch weiter an die USA zu binden. Aber es gibt noch weitere erfreuliche Entwicklungen für die USA. Sie können nun den bösen Russen aus der Kiste holen und wieder reinstecken, so wie es gerade die Lage erfordert. Die EU und insbesondere Deutschland wirft jetzt enorme Summen in ein Loch und glaubt damit eine bessere Verteidigung zu bekommen. Ist das Geld ausgegeben, kann die Bundeswehr nicht mehr als zuvor, da sie gutes Geld schlechten hinterwerfen. Es braucht eine Reform und nicht mehr Geld. Aber es freut die USA bestimmt, das nun endlich das 2% Ziel erreicht wird und sie können jetzt den blöden EU Staaten auch noch ihre überteuerten Rohstoffe verkaufen. Das sind aber alles nur Nebenschauplätze. Eigentlich wollen sie den Euro einsacken und gegen eine andere Art von Geld austauschen. Wie das aussehen wird, weiß ich nicht, ich weiß aber, dass sie dafür die Freiheit opfern müssen, damit sie ansatzweise die Schattenwirtschaft unter Kontrolle behalten können. Wenn man bedenkt, dass diese Bestrebungen aus dem Land der Freiheit kommen, ist das eigentlich ein guter Treppenwitz. Womit die USA nicht gerechnet haben, das Russland so viele Freunde in der Welt hat. Für mich war das zwar klar, aber offenbar haben die Analysten der USA ideologische Scheuklappen und sind in ihrem eigenen Größenwahn gefangen. Sie meinen mit Schutzgeld-Erpresser-Methoden kann man echte Freundschaft besiegen. Für die USA gibt es nur strategische Partner, die, sollte es den Interessen der USA nützlich sein, auch schon mal ins Feuer geschickt werden können, es betrifft schließlich nicht sie und ihre Golfplätze bleiben spielbar. Russland scheint aber in der Vergangenheit nicht nur ein verlässlicher und vertragstreuer Partner gewesen zu sein, sondern hat über Handel mit Wandel auch Freundschaften aufgebaut, die nun dem Größenwahn der USA im Weg stehen, denn ansonsten hätte es bestimmt schon irgendein Mandat gegeben. Es ist also gar nicht so sicher, dass die NATO wirklich eine starke Allianz ist, weil sie nur ein Zweckbündnis ist, in dem die USA nicht nur die Vorherrschaft haben und den Kurs bestimmen, sie sorgen auch ab und zu für etwas Stimmung unter den Mitgliedern, damit Onkel Sam wieder die Peitsche knallen lassen kann und niemand vergisst, wer das Sagen hat. Auf solch ein System kann man sich im Ernstfall kaum verlassen. Die Staatsmarionetten werden zwar alles versuchen, aber die Soldaten werden nicht alles machen, denn wer sich für die Spielereien der USA umbringen lässt, dem ist sonst anderweitig auch nicht mehr zu helfen.


Pnyx 27. April 2022 um 03:56:

Was für ein Unsinn. Wenn die u.s.-Amerikaner etwas perfekt beherrschen ist es Angabe, Grosssprecherei. In Wirklichkeit ist der Ansatz alle möglichen Waffen zusammenzuklauben, um sie gegen Moskau zu werfen im Ansatz eine zum Scheitern verurteilte Paniktat. Der grösste Teil davon wird es nie bis zu irgendeinem Einsatzort schaffen, entweder weil vorher zerstört oder wegen Mangels an Überführungsmöglichkeiten. Russland zerstört gerade hingebungsvoll das ukrainische Bahnnetz und LKWs benötigen Diesel, der aufgrund russischer Attacken auf die entsprechende Infrastruktur ebenfalls rar ist, abgesehen davon, dass es wenige gibt. Dazu kommt noch, dass die Ukrainer nicht auf dem gelieferten Gerät ausgebildet sind, dass es keine Möglichkeiten gibt, es zu reparieren.

Täglich verliert die Ukraine grosse Mengen an Material und Soldaten. Das kann man totschweigen, was aber nichts dran ändert. Dazu ergeben sich auch immer wieder ukrainische Militärs, bisher meist in kleinen Gruppen. Die Kommandeure senden SOS ins ohnmächtige Kiev, was den nato-Staaten wohl bekannt ist und umso lauter aktionistisch übertönt wird. Die eigentliche russische Offensive steht noch aus.

Angesichts dieser Situation wird es Versuche geben, neue Fronten zu eröffnen, etwa in Transnistrien. Polen könnte verrückt genug sein, sich aktiv einzumischen. Und dann wäre der Brand dann ganz ausser Kontrolle.

Man darf nicht übersehen, dass Russland eine Art Heimvorteil hat. Die Auseinandersetzungen finden in der Nähe des russischen Gebiets statt. Die usa lassen zwar eiligst viel Material anschleppen, werden aber stets im Nachteil bleiben. Die usa hat nicht wirklich einen Plan, sie improvisieren, damit dass Putin wirklich angreifen würde, haben sie nicht gerechnet. Russland schwächen, gar ausbluten – das ist adhoc-Geschwätz, was bleibt auch anderes übrig. Bald wird sich die wirtschaftliche Situation sehr merklich verdüstern, nun kann man das zwar auf den Krieg bzw. Putin schieben, das ändert aber nichts an den Nöten, die das auslösen wird. Es ist noch schwer die Frage, wessen Regime zuerst ins Wackeln gerät.


Harald Benz 27. April 2022 um 06:44:

Vielleicht passend dazu:

„[…] Im Westen glauben wir nämlich wir nämlich an das Recht auf Veränderung, auf persönliche Entwicklung, die Anerkenntnis der Veränderlichkeit, Wertvorstellungen in einer nicht abschließend definierbaren Welt.

Winzige Anmerkung: Letzteres gilt nur innerhalb unserer westlichen Gemeinschaft. Nur für uns. Nicht für unsere Feinde.

Der Feind hat nicht etwa andere Werte als wir. Keine, deren Wert wir anerkennen würden. Man spricht ihm überhaupt ab, Werte zu haben. Der Begriff „westliche Werte“ ist irreführend, denn er impliziert, dass wir auch östliche, nördliche und südliche Werte kennen, mindestens. Aber wir kennen keine anderen Werte. Werte haben nur wir. Denn unsere Werte sind u n i v e r s e l l e Werte. D i e Werte. Werte an sich.

Natürlich sind unsere Werte ständig im Wandel, weil unsere Gesellschaft sich ja moralisch immer weiter und höher entwickelt. Aber nach außen hin gilt immer der aktuelle Status quo. Die Welt muss u p t o d a t e sein mit unseren wechselhaften, aber stets universellen Werten. Wir im Westen dürfen Fehler machen und daraus lernen. Nur u n s e r Irren ist menschlich und verständlich. Der Feind aber kann und soll auch nicht verstanden werden. Allein die Vorstellung wird nicht geduldet: Wer wollte ein Putinversteher sein? Es gibt nichts zu verstehen, außer, dass er das Böse ist. Und das Böse ist unergründlich.

Kriege, die der Westen führt, sind nicht der Kampf von gleichwertigen Wertesystemen gegeneinander, sondern immer der Krieg „der Menschheit“ gegen das Böse. Es gibt nur Verneinung und in der Konsequenz Vernichtung. Die Welt ist zu klein geworden, man kann einander nicht mehr ausweichen. Man ist ständig unmittelbar betroffen. Das Andere ist nicht mehr tolerierbar. Moralischer Relativismus ist nicht krisenfest, es ist die zarteste, neueste zivilisatorische Schicht, das reibt sich leicht ab bei geopolitischen Reibereien.

Niemals darf sich das Recht des Stärkeren durchsetzen gegen die Moral! Darum müssen wir Moralischen selber die Stärkeren sein! -Diesen Selbstwiderspruch kann nur aushalten, wer an universelle Werte glaubt. An das Gute an sich. Und an das Böse an sich.

Die Existenz des Bösen ist der Freibrief für den Westen, sich die Welt untertan zu machen.Wir haben ihn uns praktischerweise selbst ausgestellt, weil wir die einzigen sind, denen wir diese Autorität zugestehen. So und nicht anders macht man Imperialismus. Mit diesem Selbstverständnis.

Selbstverständlich ist es der Anspruch des Westens, die ganze Welt zum Guten zu bekehren, anstatt sich einfach nur ihre Ressourcen oder militärstrategisch günstige Inseln anzueignen. Letzteres tun wir nur so nebenbei. […]“

(Hanna Lakomy in der „Berliner Zeitung“, 16.4.2022, https://www.berliner-zeitung.de/stil-individualitaet/krieg-im-feuilleton-li.222061?pid=true ; leider hinter der Bezahlschranke…)