Jedes Unrecht beginnt mit einer Lüge

VON IMAD KARIM am 23. Dezember 2016 auf Cicero

Der Fall Anis Amri verdeutlicht die zahlreichen Widersprüche in der Migrationspolitik. Imad Karim, Filmemacher und Gewinner eines Integrationspreises, versteht schon lange nicht mehr, was sich in Deutschland abspielt. Es sei eine ideologisierte Scheinwelt, in der wir lebten.

AUTORENINFO
Imad Karim ist ein libanesisch-deutscher Regisseur, Drehbuchautor und Fernsehjournalist. Seine Filme wurden in den Fernsehanstalten ARD, ZDF, WDR, hr, BR, MDR, ORB, SR, SWR, NDR, 3Sat, Phoenix ausgestrahlt. Er gehörte verschiedenen Filmjuries an und ist selber Träger verschiedener Fernsehpreise.

Zu seinen Artikeln im Cicero

Jeden Tag höre ich von Flüchtlingen, mus­li­mi­schen Flücht­lin­gen, trau­ma­ti­siert, halb trau­ma­ti­siert, flei­ßige Fin­der von gro­ßen Geld­be­trä­gen, hoch­qua­li­fi­zierte Arbeits­kräfte, die aber ein wenig sexu­ell fru­striert sind, Vor­zeige-Flücht­linge, denen von deu­tschen Gast­fa­mi­lien das Flö­ten­spie­len inner­halb einer Woche bei­ge­bracht wird.

Tagein, tagaus Flücht­lings­in­te­gra­tions­pro­gramme, die alle mehr oder weni­ger den Bei­ge­schmack von ins­ze­nier­ten Zir­kus­auf­trit­ten haben, von infan­ti­len Zur­schau­stel­lun­gen, nach dem Motto „Schaut mal, was mein Flücht­ling alles kann!“ Eine Epi­d­emie der gren­zen­lo­sen Liebe ist offen­bar aus­ge­bro­chen, Flücht­linge erschei­nen mir als Volks­the­ra­pie zu fun­gie­ren oder, bes­ser gesagt, als die Erfül­lung einer gött­li­chen Mission. Flücht­lings­hel­fer stei­gen in die­ser gött­li­chen Hie­rar­chie empor zu Hei­li­gen, zu Schutz­pa­tro­nen.

Ich habe früher selbst Filme über Flücht­linge für den WDR rea­li­siert. Es ging um Men­schen, die wegen ihrer poli­ti­schen, reli­giö­sen oder sexu­el­len Orien­tie­rung ver­folgt wur­den und flüc­hten muss­ten, und bekam dafür inter­na­tio­nale Film­preise. Ich bin zwei­fa­cher Gewin­ner des ARD-CIVIS-Preises für Inte­gra­tion.

Warum hilft man den Menschen erst hier?

Heute verstehe ich nicht, was sich hier vor meinen Augen abspielt. Ich verstehe den Sinn dieser offenen Grenze nicht. Warum ermutigt man Menschen, dass sie aus ihren Heimatländern fliehen und somit entwurzelt in Deutschland ankommen? Warum hilft man den Menschen vor Ort nicht oder hat ihnen nicht rechtzeitig geholfen?

Nehmen wir das Beispiel Syrien. Die Menschen sind entweder innerhalb Syriens oder in die Anrainerstaaten geflüchtet. Sie waren stets im Blickkontakt mit ihrer Heimat. Wo waren die Huma­ni­sten unter uns, als das UN-Welternährungsprogramm die Gelder für die syrischen Flüchtlinge in den bereits existierenden Unterkünften kürzte? Ein Bruchteil des Geldes, das heute für die Ange­kom­me­nen ausgegeben wird, hätte gereicht. Warum erstellte das Bundesamt für Integration bereits im Jahre 2014 einen Anwerbefilm, damit die Flüchtlinge ermutigt werden, nach Deutschland zu kommen? Und warum glaubt die Mehrheit der Gesellschaft, dass sie in der Lage ist, diese Millionen Menschen, deren Sozialisierung eigentlich bereits abgeschlossen ist, hier resozialisieren zu können? All das ist eine neue Form des Kulturkolonialismus – arrogant, ignorant, fahrlässig und keinesfalls human.

Menschen aus Marokko, Nigeria, dem Irak oder Syrien laufen auf langen, beschwerlichen, gefähr­li­chen und regelmäßig tödlich endenden Wegen nun um die Wette. Die Mehrheit von ihnen sind starke Männer im wehrfähigen Alter, die den Mythos Einwanderer und Eroberer mit sich tragen. Wer es schafft, der bekommt Geld und Unterkunft von den Deutschen. Wer unterwegs umgefallen oder im Mittelmeer ertrunken ist, hat halt Pech gehabt. Das versuchen uns die Medien als Humanität zu ver­kau­fen.

Marathonlauf des Elends

Mir ist rätselhaft, warum wir unsere gesunden Sozialsysteme mutwillig destabilisieren. Damit tun wir weder der aufnehmenden Gesellschaft noch den Neuankömmlingen (mittel- bis langfristig) einen Gefallen. Menschen kommen nach Deutschland und werden als „Flüchtlinge“ deklariert. Wir wissen nichts über sie. Das einzige, was von ihnen registriert werden kann, ist die Nummer ihrer IPhones, sonst nichts, weder Name, Alter noch andere Identitätsnachweise. Auch die nachgereichten Zeug­nisse, Geburtsurkunden, Führerscheine bis hin zu Zertifikaten von Uni-Abschlüssen sind oft gefälscht.

Und was ist daran human, einer siebenköpfigen afghanischen Familie, die bisher in ihrer Heimat mit 40 Euro pro Monat über die Runden kam, in Deutschland Monat für Monat mit 1.700 Euro zu ver­sor­gen, anstatt solche Summen vor Ort zu zahlen, mit denen 40 Familien unterstützt werden könnte? Es sind mehr als 60 Millionen Flüchtlinge weltweit unterwegs. Wollen wir sie alle nach Europa bringen? Wieso veranstalten wir diesen Marathonlauf des Elends?

Dazu trägt der Westen auch seinen Teil bei. Denn warum schickt der Westen wiederum Soldaten in die Kriegsgebiete, aus denen die Flüchtlinge kommen? Was haben bis jetzt die deutschen Soldaten in Afghanistan erreicht? Wozu starben mehr als 100 deutsche Soldaten in Auslandseinsätzen? Haben sie den Einsatzländern Frieden gebracht oder haben sie den Hass auf den Westen noch mehr geschürt? Warum schweigen unsere „Humanisten“, wenn es darum geht, dass die westlichen Regierungen gigan­ti­sche Waffengeschäften mit Regimen wie Saudi-Arabien machen, die zur Destabilisierung von Ländern wie Syrien beitragen? Und warum höre ich immer „Aleppo brennt“ aber nicht Saana oder Aden im Jemen? Vielleicht, weil Saudi-Arabien die Islamisten in Syrien gegen den Machthaber Assad unterstützt und gleichzeitig selbst einen Vernichtungskrieg gegen Jemen, eines der ärmsten Länder der Welt führt?

Nur, wer es sich leisten kann, kommt zu uns

Hierzu muss man wissen, dass eigentlich kaum Menschen aus den eigentlichen Kriegsgebieten zu uns kommen, denn die können sich die Schlepper nicht leisten. Es kommen vor allem Menschen hierher, die sich seit Jahren in den Anrainerstaaten, Libanon, Jordanien und der Türkei eine Existenz auf­ge­baut haben. Sie verkaufen alles und machen sich auf dem Weg nach Deutschland. Auch viele Gast­ar­bei­ter in den Golfstaaten, die aus Syrien, dem Libanon oder Pakistan und Afghanistan stammen, und dort seit Jahren mit ihren Familien leben, machen das. Denn es lohnt sich. Dazu kommen unzählige Klein-und Groß-Kriminelle aus den Slums der nordafrikanischen Metropolen, die sich die Schlepper leisten können, und als Flüchtlinge hierherkommen. Sind sie erst einmal hier, werden sie von ihren Heimatländern verständlicherweise nicht mehr wieder zurückgenommen.

Im öffentlichen Diskurs sind die Einwanderer entweder hochqualifizierte Fachkräfte oder Anal­pha­be­ten. Doch sind sie hochqualifiziert, dann ist es Fehler, dass wir sie ihren Herkunftsländern ent­zie­hen. Und sind sie Analphabeten, dann verwandeln wir Deutschland in ein Heim für Erwach­se­nen­bil­dung und zum Teil für schwererziehbare Jugendliche, deren Sprache wir nicht einmal kennen. Wollen wir das wirklich?

Eine ideologisierte Scheinwelt

Uns werden Begriffe und Idiome verordnet. Weigern wir uns, sie zu benutzen, fallen wir in Ungnade. Doch warum sind sie populistisch? Ich habe political correctness immer so verstanden, dass wir allen Gesellschaftsgruppen mehr Teilhaberechte und mehr Zugangschancen auf den öffentlichen Diskurs gewähren. Aber wenn daraus eine ideologisierte Scheinwelt entsteht, der wir uns unterordnen müs­sen und der wir nicht mit den Mitteln der Empirie entgegnen können und dürfen, dann sprechen wir hier von einer Gesinnungsethik, die zur Katastrophe führen würde. Heute dürfen wir die Dinge nicht beim Namen nennen.

Wenn wir in unserer freiheitlichen Grundordnung kriminelle Migranten nicht als kriminell bezeich­nen dürfen, weil sie Migranten sind, dann hat das mit Toleranz nichts zu tun, sondern mit einer neuen Art von Rassismus, einem Privilegien-Rassismus. Ich rufe die Politiker dazu auf: Nennen Sie die Kri­mi­nel­len beim Namen und viele Türken, Araber und Kulturmuslime wären Ihnen dankbar. Trauen Sie sich mehr, die Wahrheit zu sagen, und haben Sie keine Angst vor den Paar Ewiggestrigen, die das zu missbrauchen versuchen. Unsere freiheitliche Gesellschaft ist viel stabiler, als einige uns einreden wollen. Uns wird suggeriert, Hitler stehe „kurz vor der Auferstehung“. Das ist mehr als absurd. Unsere Eliten warnen uns vor den Rechtsradikalen, die sie anscheinend in 70 Jahren noch nicht integrieren konnten, aber gleichzeitig sind sie sicher, Millionen Menschen, die aus dem Islam mit seinen mit­tel­al­ter­li­chen Vorstellungen kommen, integrieren zu können. Dazu sage ich, jedes Unrecht beginnt mit eine Lüge.

Dieser Text erschien zuerst auf der Facebook-Seite von Imad Karim