Falsches Spiel mit Teheran:
Der Iran im Visier Washingtons

Von Sven Reuth am 30. Mai 2020 Digital+

Lagebesprechung im Situation Room des Weißen Hauses: US-Präsident Trump hat die Iran-Krise nicht eskalieren lassen –
zum Ärger von Neocons und Tiefem Staat. Foto: picture alliance/AP Photo

Ausgerechnet die USA könnten dem Iran die entscheidenden Atombausteine geliefert haben – und befeuerten dann den Konflikt. Kann Donald Trump die Lage deeskalieren – oder droht ein nukleares Armageddon? Dieser Artikel erschien im COMPACT-Spezial 25 „Krieg. Lügen. USA: Die Blutspur einer Weltmacht“.

_ von Sven Reuth

Wien wirkt von außen besehen wie eine ruhige und gemütliche Stadt. Doch hinter der Kulisse von Praterbuden, Spanischer Hofreitschule und Stephansdom, den Fiakern, Kaffeehäusern und Heurigenlokalen wird oft mit harten Bandagen gekämpft, denn die österreichische Hauptstadt ist bis heute ein Hotspot für Agenten jeglicher Couleur, und Organisationen wie die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) oder die Ölexporteure der OPEC haben dort ihren Sitz.

Ein CIA-Agent war damit beauftragt, eine Trojaner-Mission durchzuführen.

Im Februar 2000 soll sich in der damals tief verschneiten Metropole hinter der blassgrünen Fassade eines unscheinbaren Altbaus in der Heinestraße 19 im Bezirk Leopoldstadt eines der obskursten Kapitel in der Geschichte der internationalen Spionage abgespielt haben – ein Vorgang, der als Operation Merlin in die Annalen der CIA einging.

Operation Merlin

In dem Gebäude hatte die iranische Delegation der IAEA ihr Büro. Sie wurde damals von einem Mann angesteuert, der früher im sowjetischen Atomwaffenzentrum Arsamas-16 geforscht hatte und nun gegenüber den Persern den frustrierten und arbeitslosen Wissenschaftler in Geldnöten mimte. Tatsächlich stand der Experte aber mit 5.000 US-Dollar monatlich auf der Gehaltsliste der CIA und hatte den Auftrag, eine sogenannte Trojaner-Mission durchzuführen. Er führte Blaupausen mit sich, auf denen eines der größten technischen Geheimnisse überhaupt dargelegt war: die Bauanleitung einer Zündvorrichtung für Nuklearwaffen.

Raketentest der Iranischen Revolutionsgarden im September 2009: Inzwischen verfügt Teheran über Mittelstreckenwaffen mit einer Reichweite von 2.000 Kilometern. Foto: picture-alliance/ dpaOloratque

In die Pläne waren allerdings kleine Fehler eingearbeitet worden, die dazu geführt hätten, dass die Bombe mit nur einem Bruchteil ihrer Sprengkraft explodiert wäre. Die Operation des US-Geheimdienstes war von unfassbarer Infamie, wie der Nahost-Experte Michael Lüders in seinem 2018 erschienenen Buch Armageddon im Orient  betont. Da die Bauart der Zünder leicht als russisch zu identifizieren gewesen wäre, hätten nach einem Bombentest «Teheran und Moskau gemeinsam am Pranger gestanden» und wären vermutlich sofort mit Kriegsdrohungen aus Washington überzogen worden.

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Doch aus Sicht der CIA-Zentrale in Langley, Virginia, ging an diesem Wintertag in Wien alles fürchterlich schief: In einem Hotel am Ring öffnete der vermeintliche Lockvogel das Kuvert mit dem hochbrisanten Inhalt und steckte einen Zettel hinein, mit dem er die Adressaten auf die Fehler hinwies. Ob er dies aus reiner Gefälligkeit tat oder ob er womöglich ein Doppelagent war, lässt der investigative Journalist James Risen, der den Skandal in seinem Buch State of War. Die geheime Geschichte der CIA und der Bush-Administration aufdeckte, offen. Die Sendung landete jedenfalls mitsamt der Notiz im Briefkasten der iranischen IAEA-Delegation.

Damit könnten ausgerechnet die USA ihrem Erzfeind den wichtigsten Fingerzeig zum Bau einer funktionsfähigen Atomwaffe gegeben haben. Auch deshalb ist die Operation Merlin bis heute «das bestgehütete Geheimnis der Clinton- wie auch der George-W.-Bush-Administration» geblieben, wie Lüders feststellt. Doch statt aus diesem Debakel zu lernen, drehte Bush Junior, US-Präsident ab 2001, erst richtig auf: Im Januar 2002 hielt er seine berüchtigte Rede, in der er den Irak, Nordkorea und den Iran zur sogenannten Achse des Bösen erklärte. Das war eine geradezu groteske Reaktion auf die fast ausschließlich von saudischen Attentätern begangenen Anschläge des 11. September 2001, denn statt den neben Israel engsten Verbündeten im Nahen Osten endlich mit seinem hausgemachten Terrorproblem zu konfrontieren, hielt Washington die Hand über Riad.

Die Kriegstrommeln der Neocons

Unmittelbar nach 9/11 gelang es dem damaligen Botschafter Saudi-Arabiens in Washington, Prinz Bandar, offenbar mit Erlaubnis des Weißen Hauses rund 150 seiner Landsleute mit Sonderflügen aus den USA schaffen zu lassen. Es handelte sich vorrangig um Mitglieder der Königsfamilie und des schwerreichen Bin-Laden-Clans, die sich im Falle eines Verbleibs in den Vereinigten Staaten peinlichen Befragungen hätten stellen müssen. Obwohl der Iran nichts mit den Terroranschlägen zu tun hatte, geriet nun er zunehmend in den Fokus einer von Teilen der US-Medien betriebenen Hetze, die in ihrer Intensität an die Hunnenpropaganda gegen das Deutsche Reich während des Ersten Weltkriegs erinnerte. Sie wurde vor allem von neokonservativen Publizisten wie Norman Podhoretz oder Irving Kristol und Lobbygruppen wie dem American Enterprise Institute oder dem American Israel Public Affairs Committee getragen. Podhoretz bekundete sogar in einem Artikel seines Magazins Commentary, dass er als «Amerikaner und Jude (…) von ganzem Herzen» für eine Bombardierung des Irans bete. Im Frühjahr 2007 bearbeitete er Bush und dessen Berater Karl Rove im New Yorker Hotel Waldorf Astoria eine Dreiviertelstunde lang, um sie endlich zum Losschlagen zu bewegen.

Der Neocon Norman Podhoretz betete dafür, dass George W. Bush den Iran bombardiert.

Schon 2005 berichtete Seymour Hersh, Superstar des investigativen US-Journalismus, der sowohl das Massaker von My Lai im Vietnamkrieg wie auch den Folterskandal im irakischen Abu Ghraib aufgedeckt hatte, dass das Weiße Haus umfassende Geheimdienstoperationen gegen den Iran angeordnet habe. Ziel sei es, so der Autor im New Yorker, «drei Dutzend, vielleicht auch mehr» Ziele in dem Land zu identifizieren, die im Verlauf einer ganzen Kette von Luftschlägen zerstört werden sollten. Bush wolle unbedingt durch die Ausschaltung eines «neuen Hitler» (gemeint war das damalige iranische Staatsoberhaupt Mahmud Ahmadineschad) in die Heldenbücher der Geschichte eingehen. In Reaktion auf den Artikel, der unter der Überschrift «The Coming Wars» veröffentlicht worden war, wollte der Präsident ausdrücklich «keine Möglichkeit» ausschließen. Ein Jahr später enthüllte Hersh, wieder in seinem Stammblatt The New Yorker, dass der damalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld bei der Bombardierungskampagne taktische Atomwaffen einsetzen wollte. Alle Warner vor einer gigantischen Atompilzwolke, jahrzehntelanger Verstrahlung und massenhaften Zivilopfern würden in internen Besprechungen «jedes Mal niedergebrüllt», so der Starjournalist. Vielleicht hat damals nur das totale Fiasko des Irak-Feldzugs Bush die begrenzten Möglichkeiten seines Militärs aufgezeigt und der Welt damit einen Konflikt erspart, der zum Dritten Weltkrieg hätte eskalieren können.

Eine F/A-18 Hornet der amerikanischen Luftwaffe startet vom Flugzeugträger USS «Abraham Lincoln» im Golf von Oman. Die Region bleibt einer der größten Konfliktherde weltweit. Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com

Der Einzug Barack Obamas ins Weiße Haus läutete dann zweifellos eine Entspannungsphase ein und gipfelte schließlich in dem 2015 geschlossenen Atomabkommen. Die Vereinbarung sah die Zerstörung von iranischen Zentrifugen und angereichertem Uran sowie scharfe Kontrollen von Teherans Nuklearprogramm über einen Zeitraum von 25 Jahren vor. Im Gegenzug sollten alle Sanktionen und UN-Waffenembargos gegen das Land aufgehoben werden.

Trump fährt einen eigenständigen Iran-Kurs.

Doch diese Initiative bekam nie die Chance, ihre potenziell segensreichen Wirkungen zu entfalten. Schon während des Präsidentschaftswahlkampfs 2016 bekannte sich Donald Trump zur US-Saudi-Connection, also jenem Bündnis aus politischen und wirtschaftlichen Akteuren beider Länder, die sich seit Jahrzehnten gegenseitig mit milliardenschweren Investitionen versorgen. Im August 2016 erklärte er bei einer Veranstaltung in Alabama: «Saudi-Arabien – ich verstehe mich mit allen von denen. Sie kaufen Apartments von mir. Sie geben 40 Millionen Dollar aus, 50 Millionen. Warum sollte ich sie nicht mögen? Ich mag sie sehr gerne.»

Trumps Strategie

Mohammad Mossadegh. Foto: CC0,
Wikimedia Commons

Manche befürchteten, dass sich der Immobilien-Tycoon nach seiner Wahl ins Weiße Haus zum willfährigen außenpolitischen Instrument all jener Länder machen lassen würde, die den Iran als Hauptfeind bei ihrem Streben nach regionaler Hegemonie auserkoren haben – also Saudi-Arabien, Israel und die Vereinigten Arabischen Emirate.

Doch Trump lässt sich nicht vor den Karren von Neocons und Kriegstreibern spannen: Getreu seinem Motto «America First» fährt er trotz des mittlerweile aufgekündigten Atomabkommens einen eigenständigen Kurs in Sachen Iran. Daran ändert auch die Liquidierung des iranischen Generals Qassem Soleimani durch eine US-Drohne Anfang 2020 nichts. Dem US-Präsidenten geht es – anders als seinem Vorgänger George W. Bush – nicht darum, einen Waffengang vom Zaun zu brechen, er signalisiert den Mullahs nur unmissverständlich: Kommt mir nicht zu nahe! Dies erschien ihm nötig, nachdem in den Tagen vor der Tötung Soleimanis ein Amerikaner im Irak bei einem iranischen Raketenangriff getötet und die US-Botschaft in Bagdad von einer von Teheran gesteuerten Miliz belagert worden war.


Operation Ajax
US-Geheimdienstaktionen gegen den Iran gibt es schon seit langer Zeit: Am 28. April 1951 beschloss das Parlament in Teheran die Verstaatlichung der Erdölindustrie. Dies löste einen Schock in London aus, da Großbritannien an einer Ausbeutung der persischen Ölvorkommen durch die Anglo-Iranian Oil Company (AIOC) interessiert war. Der damalige britische Premier Winston Churchill strebte deshalb einen Regime Change an – und fand damit ein offenes Ohr bei dem ab Januar 1953 regierenden US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower. So tüftelten die Geheimdienste beider Länder – der britische MI6 und die amerikanische CIA – einen Putschplan aus, der im August 1953 umgesetzt wurde: Über gekaufte Rowdys wurde Unruhe in Teheran gestiftet, Polizei, Militär und der Schah Reza Pahlevi schlossen sich der Opposition gegen Ministerpräsident Mohammad Mossadegh an. Nachdem es vor dessen Haus zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Anhängern seiner Politik kam, die mehr als 200 Todesopfer forderten, kapitulierte er. Ein Jahr später wurde die AIOC in die British Petroleum Company, den heutigen Weltkonzern BP, umgewandelt.

Obwohl Trump wohl tatsächlich bloß einen neuen, seiner Ansicht nach besseren Deal mit der Islamischen Republik erreichen möchte, könnte der Konflikt noch immer bis hin zu den von vielen befürchteten apokalyptischen Höllenfeuern eskalieren – und zwar dann, wenn die Perser aus Sicht des US-Präsidenten weitere rote Linien überschreiten sollten. In einem solchen – eventuell auch von Feinden Irans inszenierten – Fall bestünde kaum Zweifel daran, dass der Oberste Befehlshaber der US-Streitkräfte einen vernichtenden Militärschlag anordnen würde. Immerhin hat er durch die Entlassung seines besonders kriegswütigen Sicherheitsberaters John Bolton, der schon unter Georg W. Bush zum Angriff auf Persien getrommelt hat, klar gemacht, dass er sich die Entscheidung nicht aus der Hand nehmen lässt.

Dieser Artikel erschien im COMPACT-Spezial 25
„Krieg. Lügen. USA: Die Blutspur einer Weltmacht“.