GASTKOMMENTAR von Prof. Dietrich von der Oelsnitz, Regionalleiter des Vereins deutsche Sprache„Möchten Sie ernsthaft der/die/das Radfahrenden oder die Idiotinnen sagen? Oder Bürgerinnenmeisterin? Müsste das nicht Bürgerinnen- und Bürgermeister/in heißen?“ Reformierte Sprache - betreutes Denken?Im Frühjahr veröffentlichte der „Verein Deutsche Sprache“ einen Aufruf, der sich mit deutlichen Worten gegen die sogenannte gendergerechte Sprache richtete. Binnen fünf Tagen fand der Aufruf mehr als 28.000 Unterzeichner, mittlerweile sind es fast 80.000. Viele Unterzeichner sind angesehene Intellektuelle, wie z.B. die Schriftstellerinnen Judith Hermann und Monika Maron, der bekannte Sachbuchautor Wolf Schneider, der Kabarettist Dieter Nuhr oder der ehemalige Präsident des deutschen Lehrerverbandes Josef Kraus. Der Verein hat es mit seiner Gegenrede sogar auf die Seite eins einer großen deutschen Tageszeitung gebracht. Bedenkt man, dass die Pflege der deutschen Sprache nicht eben ein populäres Hobby ist, dann stellt diese Resonanz einen beträchtlichen Erfolg dar. Auch die Online-Kommentare auf dem elektronischen Portal dieser Zeitung im Nachgang des reflektierten Artikels von Andreas Eberhard zeigten eine 98-prozentige Zustimmung für die Aussage „So etwas brauchen wir nicht“. Offenbar haben viele Bauchschmerzen bei dem Versuch, der deutschen Sprache „von oben“ eine feministische Reform zu verordnen. Zunächst: Es existiert kein fester Zusammenhang zwischen dem natürlichen (Sexus) und dem grammatischem Geschlecht (Genus): die Anmut, der Charme, das Mitgefühl. Oder: der Hund, die Katze, das Pferd. Flüsse tragen eher weibliche Artikel, Berge eher männliche. Dass es der Anwalt oder der Schornsteinfeger heißt, schließt nicht etwa weibliche Vertreter aus - sondern liegt allein an dem sog. generischen Maskulinum, auf das man sich in der deutschen Sprache seit Jahrhunderten aus Vereinfachungsgründen geeinigt hat. Liebe Genderisten, bitte nicht aufregen: Es gibt auch ein generisches Femininum: die Person, die Menschheit, die Leiche. Warum das einfacher ist? Möchten Sie ernsthaft der/die/das Radfahrende oder die Idiotinnen sagen? Oder Bürgerinnenmeisterin? Müsste das nicht Bürgerinnen- und Bürgermeister/ in heißen? Und was machen wir in Zukunft mit dem Bürgersteig? Oder dem Studentenlied? Und wieso ist der Plural im Deutschen immer nur weiblich? Unfair, oder?
Die Partizipform zu benutzen, wie z.B. mit Zu-Fuß-Gehende, Radfahrende u.ä., rettet auch nicht. Sie macht keinen Sinn, weil sie grammatisch schlicht falsch ist. Partizipien beschreiben eine Jetzt-Zeitigkeit. Ein Student ist eben nur ein Studierender, wenn er - ja - gerade im Augenblick studiert. Abends im Kino ist er wieder ein Student. Oder meinetwegen ein Ins-Kinoge-hender. Aber ein Ertrinkender ertrinkt eben in diesem Moment. Nicht schön, aber sprachlich korrekt. Ganz zu schweigen vom wortzerhackenden Gendersternchen: Studentinnen, Müllarbeiterinnen, Feuilletonistinnen. (Kleine Provokation: Von „Mörderinnen“ und „Betrügerinnen“ hört man selten.) Außerdem: Wie spricht man in der normalen Alltagsrede das Sternchen oder den Unterstrich aus? Und wem hilft das wirklich? Angela Merkel ist auch ohne das angestrebte Sprachdekret Bundeskanzlerin geworden. Nein, in der Kritik an der autoritären Sprachverordnung per Ministeramt und Moralkeule haben sich nicht Ewiggestrige zusammengetan, die sich gegen den Wandel der deutschen Sprache stemmen, der doch immer im Gang ist. Und das Ganze ist auch kein sinistres, rechtes Manöver. Die „Taz“ nannte die Liste der Unterzeichner in einem, wie ich finde, peinlichen Artikel eine „jämmerliche Parade kleinbürgerlicher Würstchen“. Holla, das muss man sich als Teilzeit-Journalist angesichts der honorigen Unterzeichnerliste erst einmal trauen. Auch die renommierte Süddeutsche Zeitung bekleckerte sich hier nicht mit Ruhm. Sie vergoss Krokodilstränen und meinte, dass sich hier „einige respektable Gelehrte und Persönlichkeiten (...) in eine trübe Gesellschaft begeben“. Was bitte hat die Anwendung von Sprachlogik mit parteipolitischen Ansichten zu tun? Rein gar nichts. Unsere schöne Muttersprache (!) steht Gott sei Dank über dem ewigen, häufig selbstbezüglichen Parteiengezänk. Denn den Sprachpolizisten ist die Sprache nie wirklich gefolgt - auch nicht im nationalen oder kommunistischen Sozialismus. Wenn es gut ging, hat sich die deutsche Sprache immer allmählich durch die freiwillige Sprechpraxis von Millionen Menschen verändert. Nur was die Mehrheit der Deutschen/Italiener/Russen etc. akzeptierte und annahm, setzte sich im Sprachgebrauch durch. Dies gilt auch für die oft nützlichen, manchmal aber auch ärgerlichen, weil überflüssigen Anglizismen. Es war also immer das Volk, das über den Sprachwandel entschied. Wenn man will, ein durchaus demokratischer Prozess. Inzwischen aber reklamiert eine selbsternannte Avantgarde für sich das Recht, den Deutschen eine sprachliche Gender-Sensibilität zu verordnen. Das zähe Ringen um die ideologisch „richtige“ Sprache ist indes nur Teil einer weiter ausgreifenden Entwicklung. Dass sich Studentinnen und Studenten in Berlin ganz selbstverständlich befugt fühlen, ein wunderbares Gedicht Eugen Gomringers im Namen des Feminismus von einer Hauswand zu entfernen, muss ebenso erwähnt werden wie ein zeitgeist-typischer Vorgang in Mannheim. Hier wurde ein gestifteter Hörsaal vom „Bürgersaal“ kurzerhand zum Bürgerinnensaal. Die Begründung: Es hätten schließlich auch Frauen gespendet. Fazit: Die deutsche Sprache ist nicht „ungerecht“. Sie benachteiligt auch niemanden. Die Endungen in Gruppen- und Sammelbezeichnungen wie Verbraucher“ oder Veranstalter“ sind mitnichten männlich. Gemeint (und nicht nur „mitgemeint“!) sind alle Mitglieder der genannten Gruppe, ganz unabhängig von ihrem biologischen Geschlecht. Wem daraus eine Benachteiligung wird, der konstruiert diese in seinem/ihrem Kopf. Leider versuchen Politik und Verwaltung, unser Sprechen und Denken - und damit unsere soziale Wirklichkeit - per Dekret zu verändern. Aber wie nichts sonst ist Sprache Ausdruck unseres Wesens; sie stiftet Identität, unterscheidet und verbindet uns. Sie ist ein historisch gewachsenes Ausdrucksmedium, das stetig verwandelt wird - durch unser aller Gebrauch: Wir denken und dichten, schreiben und schummeln, verhöhnen und versöhnen uns in diesem Medium. Die (ansonsten sehr änderungsfreundliche) Duden-Redaktion hat Unterstriche, Binnengroßschreibung und Sternchen jedenfalls bis auf Weiteres verworfen - sie dürfen in Diktaten und Arbeiten als Fehler angestrichen werden. Daher meine ich: Wir sollten uns nicht an den Gender-Neusprech gewöhnen. Sonst werden in Kürze auch die ersten Verben und Adjektive gegendert. Ich fürchte, da besteht noch viel Nachholbedarf... |