![]() Der Gender-Sprachdurchfall_von Phil MehrensFührende deutsche Intellektuelle sind infiziert von einem Virus, das die Gesellschaft mindestens so stark spaltet wie Covid-19: dem Gender-Erreger. Wird der gesunde Menschenverstand überleben?«Ens Käufens und ens Einkaufskorb gehören zusammen.» So müssten nach erfolgreicher Umerziehung alle Deutschen sprechen, wenn sie sagen möchten: «Ein Käufer und sein Einkaufskorb gehören zusammen.» Davon träumt die Sprachwissenschaftlerin Lann Hornscheidt. Die geschlechterneutrale Form «ens» hat sie dem Mittelteil des Wortes «Mensch» entnommen. Es klingt wie eine Lachnummer aus Nuhr im Ersten, doch die Linguistin meint es ernst. Und nicht nur sie.
Sprache soll die Welt verbessernBehörden, Unternehmen, Sozialverbände, Künstler, Medien- und Kulturschaffende verbreiten das Gender-Virus, schaffen Tatsachen, indem sie dem deutschen Volk ungebeten einen Stern - neuerdings auch den ästhetisch nicht ganz so desolaten «Genderdoppelpunkt» - unterjubeln. Er soll, wie etwa in «Bürgerin», die weibliche Ableitung von männlichen Nomen markieren, damit Frauen sich nicht minderwertig fühlen. Für Pluralformen galt bisher - um das Sprachverhalten nicht unnötig zu verkomplizieren -, dass Frauen mitgemeint waren, wenn es hieß: «die Bürger» oder «die Lehrer». Damit ist es nun vorbei. Infiziert vom Radikalfeminismus der US-amerikanischen Gender-Säulenheiligen Judith Butler (Gender Trouble, 1990) fordern Wissenschaftler (und Wissenschaftlerinnen) die totale sprachliche Gleichstellung. Ihr Hauptargument fasst Anatol Stefanowitsch, Linguist an der FU Berlin, so zusammen: Wenn man über die Welt so rede, als gäbe es in ihr nur Männer, dann entstehe auch in den Köpfen eine reine Männerwelt. Doch die Argumentation ist fadenscheinig. Die Deutschen haben sich nämlich längst daran gewöhnt, dass in bestimmten Kontexten die weibliche Form fehlt und trotzdem Männer und Frauen bezeichnet sind. So argumentiert die junge ARD-Reporterin Julia Ruhs, der die zwanghaften weiblichen Formen, in den Nachrichten zumeist in Gestalt von Doppelnennungen («Regierungschefinnen und -chefs») zu finden, Unbehagen bereiten. Das bekannte sie in einem Kommentar für das Mittagsmagazin des Senders. Gendern? Ihr Sprachgefühl mache das nicht mit. Auch Tagesschau-Sprecherin Judith Rakers kommen die sperrigen politisch korrekten Wortdoppel nicht über die Lippen, während männliche Kollegen wie Constantin Schreiber in vorauseilendem Gehorsam unter Beweis stellen, dass sie die besseren Frauen sind. Ruhs erntete viel Kritik. Man kann sich die verhärteten Fronten in der rot-grün grundierten ARD gut vorstellen: Hier die jakobinisch-revolutionär gesinnten Sprachpanscher, die gerade noch Juso-Pamphlete in der Uni-Mensa verteilten und jetzt beim ARD-Zukunftsdialog Internet-Nutzer mit dem besonders hippen «Genderdoppelpunkt» begrüßen, dort die verstockten Realos, die dabei mit den Augen rollen. In einer Art Sondersendung widmeten die Tagesthemen der Sprachneuschöpfung Anfang Juni fast die Hälfte ihrer Sendezeit. Die Beiträge waren ungewohnt kontrovers. Dass bei ARD-aktuell zuletzt öfter der Haussegen schief hing, zeigt auch der Streit um Schreibers islamkritisches Buch Die Kandidatin. Kolleginnen, berichtete der Tagesschau-Sprecher, hätten ihn am Telefon beschimpft. Da half es auch nichts, dass er immer artig die weibliche Form ergänzt.
Die meisten Deutschen sind auf der Seite der beiden renitenten Frauen: Sie nervt der Sprachputsch. «Ist das noch Deutsch?», fragte Der Spiegel im März 2021 und berichtete, dass nur 14 Prozent eine Gleichberechtigung wollten, die sich rigoros auch in der Grammatik zeigen müsse. Die Stern-und Doppelpunktvarianten reduzierten Frauen auf ein missverständliches Anhängsel an die männliche Form. Ein Radiobeitrag des NDR enthielt eine Aussage über «Zuschauer innen in den Stadien» (mit Pause gesprochen). Irritiert warteten Hörer auf das Pendant dazu, die Zuschauer außen vor den Stadien. Doch die Sprecherin meinte mit «innen» nicht das Ortsadverb, sie wollte nur «geschlechtergerecht» sprechen. Werden Frauen so sichtbarer? Die Bozener Linguistin Ewa Trutkowski illustriert an einem Beispielsatz ironisch, warum sie das Gendern für destruktiv hält: «Jede*r Professoren lobt seine*n/ihre*n Student*in.» Andere Kritiker weisen auf Probleme bei zusammengesetzten Nomen hin, von denen es im Deutschen wimmelt. Konstruktionen wie «Die Bürger*innenmeister*innen trafen die Schüler*innensprecher*innen beim Lehrer*innenverband» offenbaren die ganze Idiotie eines ideologisch gewollten Geschlechtsrevisionismus, der nun auf die Sprache übergreift. Im Wirrwarr der RegelnWas sich in der Schriftform zur ästhetischen Katastrophe auswächst, bei der ältere Leser verzweifelt nach Fußnoten suchen, die es nicht gibt, wird gesprochen zur Realsatire, die nur noch von der Forderung der Extremistin Hornscheidt übertroffen wird, alles, was nicht bei drei auf dem Baum ist, durch ein neutrales «ens» zu ersetzen. Hornscheidts Biografie verrät viel darüber, wie der Genderismus so weit kommen konnte. Als Antje Hornscheidt kam sie 1965 zur Welt. Irgendwann wurde ihr klar, dass sie keine Frau ist, aber auch kein Mann. Seitdem nennt sie sich Lann und wurde Professorin für Gender Studies in Berlin.
Eine Minderheit von Überzeugungstätern treibt den Irrsinn voran. Besonders auf den Leim gegangen sind ihnen ZDF und Deutschlandfunk, die offensiver gendern als die ARD-Kollegen. Beide gaben intern entsprechende Richtlinien vor. Seitdem spricht in ihren Sendungen jeder so «gendergerecht», wie er will - ungeachtet des amtlichen Regelwerks für die deutsche Sprache. «Der Genderstern gehört derzeit nicht zum Zeichenbestand der deutschen Orthografie», stellte der Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache, Henning Lobin, klar. In Schulaufsätzen gilt er daher als Fehler. Doch der Duden, höchste anerkannte Autorität im Bereich der Rechtschreibnormen, ist offen für Neues. Jede Reform der Schreibregeln ist den Mannheimern willkommen, weil sie eine Neuauflage des Standardwerks bedeutet. Damit verkommt die Sprache zum Kommerzobjekt. Die Gesellschaft für deutsche Sprache, bei der keine Verlagskasse klingelt, äußert sich kritischer: Der Genderstern stelle «aus sprachlicher Sicht kein geeignetes Mittel dar», um das Anliegen der «diskriminierungsfreien Sprache» umzusetzen, hieß es dort. Begründung: Lesbarkeit, Verständlichkeit und Einheitlichkeit litten unter den willkürlichen Eingriffen. Zudem weisen die «gendergerechten» Pluralformen immense strukturelle Defizite auf, die einen generalisierten Gebrauch ausschließen: Das angehängte «*innen» funktioniert nur bei bestimmten Deklinationsarten. Pluralformen wie Ärztinnen, Französinnen, Chefinnen oder Bäuerinnen machen bei Gendersterneinsatz vielleicht Frauen sichtbar, dafür aber Männer («Ärzte», «Franzosen») unsichtbar. Das kann ja nicht ernstlich das Ziel einer Bewegung für Geschlechtergerechtigkeit sein.
Die Hamburger CDU fordert ein Verbot der «künstlichen Gendersprache» in Behörden und im Bildungsbereich. Christoph Ploß, der Hamburger Unionschef, warnte vor einer Zersplitterung der Gesellschaft durch Identitätsgruppen und plädierte für «eine Sprache, die eint». Der Deutsche Bundestag lehnte dagegen auch mit Stimmen der CDU am 24. Juni 2021 einen Antrag der AfD-Fraktion ab, die Gendersprache im regierungsamtlichen Schriftverkehr zu unterbinden. Ähnlich war eine Woche zuvor eine Abstimmung im Frankfurter Landtag verlaufen. In Hessen regieren Grüne und CDU gemeinsam.
Dass auch das Partizip, das im Plural zwischen männlicher und weiblicher Form keinen Unterschied kennt, nur neue Probleme schafft, zeigt das Beispiel «Anwohnende» anstelle von «Anwohner». Ein Verb «anwohnen» gibt es nämlich gar nicht. Das davon abgeleitete Partizip ist ein sprachlicher Geisterfahrer. Der Linguist Peter Eisenberg erläuterte, dass ein Satz wie «Die Busfahrer waren betrunken» einen völlig anderen Sinn hat als «Die Bus Fahrenden waren betrunken». Der «Bus Fahrende» kann nämlich auch ein Fahrgast sein und darf sich als solcher auch während der Fahrt betrinken; der «Busfahrer» dagegen sollte, solange er am Steuer sitzt, auf Alkohol verzichten, aber er behält den Beruf des Busfahrers auch nach Dienstschluss und darf sich dann auch mal einen genehmigen. Nicht minder störanfällig ist das Partizip Perfekt: Geistige Tiefflieger schufen im Gender-Überschwang das neue Wort «Angestellt*innen».
Die Sprach-Mörder*innen
Aber vielleicht geht es auch gar nicht um Gerechtigkeit, sondern um Macht. Diese Vokabel benutzte Petra Gerster gegenüber dem Spiegel. Als Gender-infizierte Heute-Frontfrau ist sie mitverantwortlich für einen gewaltigen Vertrauensverlust des ZDF bei seinem Stammpublikum. Doch auch ihr «Sichtbarmachen» von Frauen endet jäh, sobald es um negativ besetzte Wörter geht: Wo stecken sie, all die Mörderinnen, Extremistinnen und Einbrecherinnen? Die schärfste Kritik an dem Sternchen kommt deshalb nicht von Sprachforschern, sondern von Menschen, die die Motivation der Kommunikationskorrektoren entlarven: Sie vergleichen den Gender-Fanatismus mit dem «Neusprech», der repressiven Sprache in Orwells 1984, und dem Rassenwahn der Nazis. Die NS-Ideologie prägte der Glaube, die weiße Rasse sei allen anderen überlegen; die Gender-Ideologie huldigt dem Wahn, Geschlecht sei eine «soziale Konstruktion». Die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Biologie haben ausgedient, sobald sie nicht mehr weltanschaulich verzweckbar sind. «Der neue Faschismus wird nicht sagen, ich bin der Faschismus. Er wird sagen, ich bin der Antifaschismus», wusste bereits Ignazio Silone, ein Zeitgenosse und linker Gegner Mussolinis. Alle Gender-Ideologen sind selbstverständlich Antifaschisten.∎ |