Veröffentlicht am 06. Februar 2023 um 9:00 Ein Artikel von: Udo Brandes Wenn in den Medien und der Politik über Extremismus und die Gefahren für die Demokratie gesprochen wird, dann geht es immer um den Extremismus von links oder rechts. Dass sich aber auch in der „Mitte der Gesellschaft“ autoritäre, antidemokratische bzw. totalitäre Einstellungen und Haltungen breit machen – und dies möglicherweise die viel größere Gefahr für unsere Demokratie ist: Darüber kann man entweder gar nicht oder nur selten etwas in den großen Mainstream-Medien lesen. Unser Autor Udo Brandes meint hingegen: Rechts- und Linksextremisten können großen Schaden anrichten. Aber sie haben nicht das Potential, die Demokratie in Deutschland zu zerstören. Gefährlicher sind die extremistischen Tendenzen der gesellschaftlichen Mitte. Denn die hat allein von der „Mitgliederzahl“ her die große Mehrheit hinter sich. Die Mitte als Ideologie „Die Mitte der Gesellschaft“ – das ist ein ideologischer Begriff, der zum einen vorgaukelt, als säßen der Handwerker, die Verkäuferin eines Supermarktes, der Paketbote, die niedergelassene Fachärztin, der Universitätsprofessor, der gut bezahlte Manager und der wohlhabende mittelständische Unternehmer gesellschaftlich und von ihrer Interessenlage her im selben Boot. Das ist natürlich nicht so. Aber so lassen sich gesellschaftliche Interessenkonflikte verschleiern. Und so schafft man im Denken die Unterschicht als arbeitende Unterschicht ab. Als gäbe es sie überhaupt nicht. Die Unterschicht: Das sind in diesem „mittigen“ Weltbild nur noch „Hartzer“, Obdachlose, Faule und Kleinkriminelle. Und so verwundert es auch nicht, dass über die Probleme der Unterschicht von Politikern und Medien fast immer nur mit einer patriarchialischen Haltung von oben herab gesprochen wird. Sie werden als „sozial Schwache“ tituliert, was nur eine sprachliche Verkleisterung des eigentlich gemeinten Inhaltes ist. Gemeint ist nämlich: Das sind die Asozialen (siehe dazu auch das aufschlussreiche Interview der NachDenkSeiten mit der Diplom-Politologin und Sonderpädagogin Magda von Garrel). Aber diesen eigentlich gemeinten Inhalt klar auszusprechen: Das wäre ja sogar schon mehr als eine Mikroaggression und gehört sich nicht für die politisch korrekte Bourgeoisie. Deshalb spricht man lieber von „sozial Schwachen“. Übrigens, achten Sie mal darauf: Selbst linke Politiker sprechen, wenn sie etwas an gesellschaftlichen Verhältnissen kritisieren, nie von der Unterschicht als den Leidtragenden. Sondern sie beklagen so gut wie immer nur Gefährdungen für die Mittelschicht. Das sagt durchaus etwas darüber aus, wie sie über die Unterschicht denken. Und was ihnen deren Interessen wert sind. Denn Sprache fördert auch das zutage, was Menschen verbergen wollen. Zum anderen bietet der Begriff der „Mitte“ den politischen Kräften, die sich damit schmücken wollen, die Möglichkeit, das positiv besetzte Bedeutungsfeld des Begriffes für ihre politischen Zwecke zu nutzen: Mitte, das klingt nach vernünftigem Maßhalten. So wie ein Mensch, der in seinem Lebensstil „Maß hält“. Man gönnt sich mal ein Glas Wein, aber man schlägt nie über die Stränge. Man lebt „vernünftig“. Mit anderen Worten: Der Begriff „Mitte“ hat das Flair des „Ordentlichen“, des moralisch und politisch Korrekten, des „So sollte man sein“. Denn so ist die Mehrheit der Gesellschaft. Und so will sie sein. Deshalb ist der Begriff so beliebt. Auch wenn er für eine Politik in Anspruch genommen wird, die man nur als „rechts“ bezeichnen kann. So warb die Schröder-SPD für sich mit dem Begriff „Die neue Mitte“ – und machte dann eine rechte, neoliberale Politik (siehe dazu beispielhaft einen Kommentar des Hamburger Abendblatts aus dem Jahre 2005, der dieses Thema aufgreift). Die Mitte – das ist auch Mittelmäßigkeit Aber der Begriff „Mitte“ hat eben auch etwas mit „Mittelmäßigkeit“ zu tun – und feiert in gewisser Weise auch die Mittelmäßigkeit. Das kann man immer wieder in der Gesellschaft beobachten. Dazu ein Fallbeispiel aus dem Jahre 2008 aus Bayern. Eine junge und sehr begabte Lehrerin schaffte es, selbst aus den hartnäckigsten Schulphobikern Schüler zu machen, die Spaß am Lernen haben und gute Noten erzielen. Und zwar bei objektiven Vergleichstests, die für alle Schüler eines Jahrgangs gleich waren. Es ging also in diesem Fall nicht darum, dass eine Lehrerin ihre Schüler einfach besser benotete, sondern ihre Schüler waren bei den objektiven Vergleichstests besser und es gab keine Sitzenbleiber mehr in ihrer Klasse. Die Münchner Zeitung tz berichtete zu diesem Fall Folgendes:
Ja, so ist die Mitte eben auch. Sie mag keine herausragenden Talente. Ein Schelm, wer dabei an die Politik denken muss. Aber wer ist die Mitte? Die SPD sieht sich schon lange als die Partei der „Mitte“. Der Spiegel schrieb 2006 über den damaligen Parteivorsitzenden Kurt Beck :
Aus diesem kleinen Auszug wird auch sehr schön deutlich, dass mit dem Begriff der „Mitte“ die „bessere Gesellschaft“ assoziiert wird. Die Schröder-SPD machte es im Wahlkampf 1998, der SPD und Grüne an die Macht brachte, genauso. Sie benutzte den Begriff „Die neue Mitte“. Man kann an diesem Begriffsgebrauch gut erkennen, warum alle gerne „Mitte“ sein wollen: Es wertet den eigenen Status auf. Der Berliner Tagesspiegel überschrieb am 30. April 2021 (noch vor der Bundestagswahl) einen Beitrag über die Grünen mit „Politik für die Mitte“. Im weiteren Text heißt es:
Man darf wohl annehmen, dass die Grünen dieser Charakterisierung ihrer Partei nicht widersprechen würden und sich selbst auch in der „Mitte der Gesellschaft“ verorten. Die FDP erklärt dies ganz ausdrücklich für sich. Nach dem Desaster bei der Landtagswahl 2022 in Niedersachsen (die FDP scheiterte an der 5-Prozent-Hürde) erklärte die Partei in einer Pressemitteilung:
Die CDU hat auf Rednerpodesten und dem Hintergrund bei Pressekonferenzen stets stehen: „Die Mitte“. Und auf ihrer Webseite heißt es:
Und die Linkspartei? Die ist in großen Teilen „grünifiziert“ und erreicht ihr ursprüngliches Klientel nicht mehr, weil sie wie die Grünen für Politische Korrektheit, Moralisieren und Genderideologie steht und nicht mehr als politische Schutzmacht der „kleinen Leute“ gesehen wird. Die können sich schon lange nicht mehr mit der Linkspartei identifizieren. Und wenn man sich anguckt, wie zum Beispiel die Berliner Linkspartei in der Regierung Politik macht, dann fällt auf, dass sie keinerlei Skrupel hatte, die klassisch neoliberal-rechte Politik der „Mitteparteien“ abzunicken, etwa den Verkauf landeseigener Wohnungen, die dann Jahre später mit einem gigantischen Preisaufschlag zurückgekauft wurden. Fazit: Die Linkspartei definiert sich zwar ausdrücklich als linke Partei, nähert sich aber immer mehr den restlichen „Mitteparteien“ an und scheut auch nicht davor zurück, die neoliberal-rechte Politik der „Mitteparteien“ mitzumachen. Sie wird deshalb nicht ohne Grund als Partei des Establishments wahrgenommen. Der Extremismus der Mitte – Beispiele Ursprünglich hatte ich vorgehabt, einen Essay über die totalitären Tendenzen des linksliberalen Milieus zu schreiben. Aber im Verlaufe der Arbeit am Text wurde mir klar, dass dies ein Fehler wäre, weil auch in liberal-konservativen Milieus der „Mitte“ extremistische, antidemokratische Tendenzen erkennbar sind. Aus diesem Grund erschien mir der Titel „Der Extremismus der Mitte“ zutreffender, zumal ja auffällig ist, dass die politische Selbstverortung als „Mitte“ inzwischen geradezu ein Fetisch ist. Oder anders ausgedrückt: Eine neue Ideologie für die wohlhabende, privilegierte Bourgeoisie (Ich verwende lieber den aus dem Französischen abgeleiteten Begriff „Bourgeoisie“ anstatt „Bürgertum“, weil dies sprachlich präziser ist. Denn im Französischen wird zwischen „Citoyen“ [= Staatsbürger] und „Bourgeois“ [= Besitzbürger] unterschieden. Das Deutsche kennt nur den Begriff „Bürger“ bzw. „Bürgertum“ und verwischt die Unterschiede zwischen der staatsrechtlichen und der soziologischen Bedeutung.) Der Journalist Nikolaus Blome Nikolaus Blome ist Ressortleiter Politik und Gesellschaft bei der Zentralredaktion der RTL-Mediengruppe Deutschland und Kolumnist bei spiegel.de. Sie werden ihn sicherlich aus dem Fernsehen kennen. Er ist oft zu Gast in Talkshows. Er schrieb in einer Kolumne auf spiegel.de Folgendes:
Mit anderen Worten: Blome fordert dazu auf, Menschen, die ihr Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit in Anspruch nehmen, zu diskriminieren und vom gesellschaftlichen Leben auszuschließen. Hat Blome also ein Problem mit unserer freiheitlichen Verfassung? Man könnte dies meinen angesichts einer derartigen Hetze. Bis heute habe ich kein Wort der Distanzierung von Blome von seinem furchtbaren Satz gelesen. Der Fairness halber muss man aber sagen: Er war bei weitem nicht der einzige Journalist, Intellektuelle oder Künstler, der in derartiger Weise gegen Mitbürger gehetzt hat. Kleiner Hinweis in diesem Zusammenhang: Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat im letzten Jahr mitgeteilt, dass sich allein 2021 2,5 Millionen Menschen in Krankenhäusern wegen Corona-Impfschäden behandeln lassen mussten (Quelle: mdr.de: Es gibt inzwischen auch durch Obduktion bewiesene Todesfälle durch Corona-Impfungen). Das Böckenförde-Diktum Von dem berühmten Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde, der von 1983 bis 1996 Richter am Bundesverfassungsgericht war, stammt der berühmte Satz
Mit anderen Worten: Der freiheitliche, demokratische Staat lebt davon, dass in seinen Institutionen Demokraten sitzen, die die demokratische Verfassung achten. Leider muss man davon ausgehen, dass wir inzwischen in einer Zeit leben, in der selbst die staatlichen Institutionen es nicht mehr so mit der Verfassung haben. Bundesinnenministerin Nancy Faeser etwa verdanken wir eine neue Kategorie im Verfassungsschutzbericht. Dort gibt es jetzt ein Kapitel über „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“. Hier ein Zitat daraus:
Ich habe offenbar in der Schule nicht richtig aufgepasst. Ich dachte nämlich immer, genau dies, dass man in einem politischen System eine Regierung oder Behörde kritisieren oder delegitimieren darf, genau dies mache eine Demokratie aus. Und das Umgekehrte, wenn Kritiker der Regierung von dieser wegen deren Kritik als Staatsfeinde behandelt werden, dass das typisch sei für autoritäre und totalitäre Staaten. Aber ich muss mich wohl geirrt haben. Oder könnte es vielleicht sein, dass Ihre Durchlaucht Nancy Faeser da etwas verwechselt? Nämlich dass sie sich selbst und die Regierung, der sie angehört, für die Verkörperung von Demokratie hält – und jedweden Protest gegen sich und die Regierung als Majestätsbeleidigung, äh, ich meinte als Vergehen gegen die Demokratie auffasst? Zum „Böckenförde-Diktum“ muss man noch eine weitere bedenkliche Entwicklung anführen: Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung die Corona-Impfpflicht für Gesundheitsberufe als verfassungskonform durchgewinkt. Nun kann es selbstverständlich auch unter Juristen sehr unterschiedliche Bewertungen ein und desselben Sachverhaltes geben. In diesem Fall ist die Sachlage aber etwas anders: Das Bundesverfassungsgericht hat seine gesamte rechtliche Argumentation auf einer falschen Tatsachenbehauptung aufgebaut. Obwohl zum Zeitpunkt des Urteils massenhaft Fälle (und auch wissenschaftliche Studien) bekannt waren, die belegten, dass eine Impfung weder vor einer Erkrankung noch Weitergabe der Infektion schützt, ist genau diese Annahme Grundlage der BVerfG-Entscheidung gewesen. Dass das Bundesverfassungsgericht öffentlich bekannte Tatsachen ignoriert und juristisch mit falschen Tasachenbehauptungen argumentiert – das hätte ich bis dato nicht für möglich gehalten. Und das halte ich für ein sehr bedenkliches Symptom in Bezug auf das genannte Böckenförde-Diktum. Dass staatliche Institutionen ein Problem mit demokratischen Grundrechten haben, wurde auch kürzlich in einem Urteil des Berliner Amtsgerichts deutlich. Florian Warweg berichtete auf NachDenkSeiten dazu Folgendes:
Es ist völlig egal, ob die Meinung von Heiner Bücker richtig oder falsch ist oder ob man sich damit identifizieren kann oder nicht. Aber es sollten bei allen Demokraten die Alarmglocken läuten, wenn in Deutschland Bürgern aufgrund ihrer öffentlich geäußerten politischen Meinung im Extremfall eine Gefängnisstrafe droht. Angesichts eines solchen Urteils fragt man sich, ob wir demnächst wieder mit Verurteilungen wegen „Wehrkraftzersetzung“ rechnen müssen. Das linksliberale Milieu Wie schon gesagt: Ausgangspunkt meiner Überlegungen für diesen Essay war, extremistische Tendenzen im linksliberalen Milieu aufzuzeigen. Bei der Arbeit am Text stellte sich dann heraus: Diese Tendenzen gibt es nicht nur im linksliberalen Milieu, sondern auch im konservativ-liberalen Milieu und in staatlichen Institutionen. Mit Sicherheit könnte man dafür noch eine Fülle weiterer Beispiele finden. Aber dann würde der ohnehin schon lange Text noch länger. Deshalb beschränke ich mich hier zum Schluss in Bezug auf das linksliberale Milieu auf ein Zitat von Sahra Wagenknecht aus ihrem Buch „Die Selbstgerechten“, das die antidemokratischen Tendenzen des linksliberalen Milieus sehr treffend beschreibt, und ergänze das Zitat mit einem aktuellen Beispiel. Hier das Zitat:
Dazu ein aktuelles Beispiel, das dazu wie die Faust aufs Auge passt. Die CDU hat sich kürzlich über einen freien Mitarbeiter des WDR, Jean Philipp Kindler, beschwert. Wie ich finde zu Recht. Und das sage ich als jemand, der noch nie im Leben die CDU gewählt oder mit ihr sympathisiert hat. Kindler verkündete in einem auf Instagramm geposteten Video anlässlich der Silvesterkrawalle: „Die CDU ist unser Feind.“ (Siehe dazu den Screenshot.) Es lohnt sich, dieses nur anderthalb Minuten lange Video anzuschauen. Man sieht einen hasserfüllten Fanatiker und Eiferer, der ganz offensichtlich Andersdenkende nicht ertragen kann und diese im wörtlichen Sinne zum Feind erklärt. Genau wie Sahra Wagenknecht es beschrieben hat. Sie finden das Video auf Instagram. Fazit Unsere Demokratie ist offenbar keine Selbstverständlichkeit mehr. Auch wenn sie nicht offen und ausdrücklich infrage gestellt wird. Aber das faktische Handeln vieler Akteure in Medien, Politik und Staat ist ein Indiz dafür. Unsere Demokratie wird allerdings nicht nur von Links- und Rechtsextremisten bedroht, sondern auch aus der „Mitte der Gesellschaft“. Und dies ist möglicherweise die viel schlimmere Gefahr. Denn selbst in den staatlichen Institutionen lassen sich verfassungsfeindliche Tendenzen beobachten. Und es sei daran erinnert, dass Bundeskanzler Olaf Scholz gleich zu Beginn seiner Amtszeit mit Bezug auf seine Corona-Politik verkündete, „Für meine Regierung gibt es keine Rote Linien mehr“ (siehe „Die Zeit“ ). Deshalb möchte ich betonen: Für Demokraten ist das Grundgesetz die Rote Linie, die nicht überschritten werden darf! Und schon gar nicht von einer Regierung. Damit unsere Verfassung auch zukünftig geachtet und gelebt wird, müssen wir alle sie gegen ihre Feinde verteidigen. Egal, wo sie sitzen. Titelbild: PeopleImages.com – Yuri A/shutterstock.com |