«Eine Rückeroberung der von Russland eingenommenen Gebiete ist unrealistisch»

«Das ukrainische Militärpotenzial wird langsam zermahlen»

Interview mit Jacques Baud*

Jacques Baud (Bild thk)
Jacques Baud (Bild thk)

Zeitgeschehen im Fokus In den Mainstream-Medien wird momentan das Bild vermittelt, dass Russland durch den Widerstand der Ukrainer militärisch nicht weiterkommt. Können Sie diese Aussage bestätigen?

Jacques Baud Nein. Das war seit Beginn des Konflikts nie der Fall und ist es auch heute noch nicht. Die Russen und ihre Verbündeten in den Donbas-Republiken sind sicherlich mit unterschiedlicher Geschwin­dig­keit vorgerückt, je nachdem, wie gut die ukrainische Verteidigung war, aber sie sind immer vorgerückt. Ich erinnere daran, dass die einzigen Vorstösse der ukrainischen Armee (in Charkow und Cherson) möglich waren, weil die Russen zuvor entschieden hatten, dass diese Gebiete das Risiko einer Verteidigung nicht wert waren. Die Ukrainer konnten dann nach dem Abzug der russischen Truppen vorrücken. Die Rückeroberung dieser Gebiete erfolgte daher ohne Schlacht. Allerdings wurden die ukrainischen Truppen von der russischen Artillerie empfangen und erlitten sehr hohe Verluste, während die Russen praktisch keine Verluste erlitten. In Cherson machten die ukrainischen Truppen die gleiche Erfahrung wie die russischen und räumten die Stadt, kurz nachdem sie sie «zurückerobert» hatten!

Seit Februar 2022 versuchen unsere Medien (insbesondere: RTS oder NZZ in der Schweiz, LCI, France 5 oder BFM TV in Frankreich), uns glauben zu machen, dass die Ukraine siegt, dass die russischen Truppen unfähig sind, schlecht geführt werden und schwere Verluste erleiden. Heute können wir feststellen, dass dies alles völlig falsch war.

Der grösste Fehler, den man in einem Krieg machen kann, ist, den Gegner zu unterschätzen und die eigenen Fähigkeiten zu überschätzen. Unsere Medien haben uns dazu verleitet.

Unsere Medien – und sogar unser Militär! – verstehen unter Krieg grosse Pfeile auf einer Landkarte und territoriale Eroberungen. Das war die Logik der Westmächte im Irak oder in der Sahelzone, aber es ist nicht die Logik der Russen in der Ukraine. Wie Winston Churchill sagte: «Egal wie beschäftigt ein Kommandant mit der Ausarbeitung seiner eigenen Überlegungen ist, manchmal ist es notwendig, den Feind zu berücksichtigen.» Seit dem 24. Februar 2022 haben unsere Medien und Politiker die Realität am Boden durch ein Propaganda-Narrativ ersetzt, das nicht darauf abzielt, die Situation zu verstehen, sondern die Stimmung gegen Russland zu mobilisieren.

In der Ukraine haben die Russen immer gesagt, dass es ihr Ziel sei, die Bedrohung für die Bevöl­ke­rung des Donbas durch «Entmilitarisierung» und «Entnazifizierung» zu neutralisieren. Beide Ziele beabsichtigten, eine Lösung für die Sicherheit der russischsprachigen Bevölkerung im Donbas zu errei­chen.

Russlands Ziel war es also – durch eine politische Einigung oder durch Zerstörung – , ein Potenzial zu neu­tra­li­sie­ren, und nicht, Gebiete zu übernehmen. Diese Lösung hätte aus dem Minsker Abkommen kommen sollen, doch die Westmächte haben sich ausdrücklich geweigert, das von ihnen unter­zeich­nete Abkommen umzusetzen. Daher beschloss Russ­land, diese Lösung durch eine mili­tä­ri­sche Inter­ven­tion zu erzwingen.

Davon abgesehen, hat Russland immer gesagt, dass es eine Verhandlungslösung bevorzugt. Aus die­sem Grund hat es alle Verhandlungsvorschläge akzeptiert, die Selenskij im Februar 2022, März 2022 und August 2022 vorschlug. Diese Bemühungen wurden von der Europäischen Union und Gross­bri­tan­nien systematisch verhindert, da sie – im Gegenteil – den Konflikt mit Waffen anheizten. Die Russen haben also begriffen, dass der einzige Weg aus dem Konflikt darin besteht, die militärischen Kapazitäten der Ukraine systematisch und methodisch zu zerstören.

Das Ziel der «Entnazifizierung» richtete sich nicht gegen die ukrainische Regierung, wie unsere Pro­pa­ganda behauptet, sondern explizit gegen die ultra-nationalistischen und neonazistischen para­mi­li­tä­ri­schen Milizen, deren Bedrohung sehr real ist,¹ deren Existenz aber von westlichen Sym­pa­thi­san­ten geleugnet wird.² Nach Angaben des russischen Militärs selbst³ wurde dieses Ziel Ende März mit der Einnahme von Mariupol, der Heimat des AZOV-Regiments, dessen Verbrechen von unseren Medien akzeptiert und sorgfältig vertuscht wurden, erreicht. Die Neutralisierung der militärischen Bedrohung (Entmilitarisierung) hätte bereits am 25. Februar 2022 erreicht werden können, indem die von Wolodimir Selenskij vorgeschlagenen, aber von der Europäischen Union verhinderten Ver­hand­lun­gen, fortgesetzt worden wären.

Da die Option der Verhandlungen vom Westen abgelehnt wurde, bleibt den Russen nur die endgültige Vernichtung der ukrainischen Streitkräfte. Dies geschieht nun logischerweise, und die Russen haben es wahrscheinlich nicht mehr sehr eilig mit der Aufnahme von Verhandlungen.

Die Westmächte haben nie Frieden schliessen wollen, und es gibt Kräfte in der ukrainischen Regie­rung, die Selenskij dazu drängen, ihre Politik zu machen. Heute haben wir sogar die Bestätigung von Generalmajor Kirill Budanow, dem Leiter des ukrainischen Militärnachrichtendienstes (GUR), dass Denys Kireyev, einer der ukrainischen Verhandlungsführer (und Mitglied des GUR), Ende Februar sowie einige andere Persönlichkeiten, die Verhandlungen befürworteten, vom ukrainischen Staatssicherheitsdienst (SBU) eliminiert wurden. Ich hatte dies bereits in meinem Buch «Operation Z» geschrieben, doch dieses Mal wird es vom Direktor der GUR selber bestätigt.4 Wieder einmal haben die Journalisten des «Blick» oder des Westschweizer Fernsehens (die mich immerhin als «Putin-Agent» bezeichnet haben) gelogen.

Die Lieferung von schwerem militärischem Gerät, was Selenskij schon lange fordert, soll die Ukraine in die Lage versetzen, die von den Russen kontrollierten Gebiete wieder zurückzuerobern. Ist das Wunsch­den­ken?

Ja. Zunächst einmal ist das Beharren des Westens auf der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine ein Eingeständnis, dass die Situation nicht zu seinem Vorteil ist. Und das geschah nicht an einem Tag. Die Hauptkapazitäten der ukrainischen Armee wurden im Sommer 2022 zerstört. Deshalb fordert Selens­kij seit dieser Zeit Waffen. Mit anderen Worten: Unsere Medien, Diplomaten und Politiker haben systematisch über die Lage und die Fähigkeiten der Ukraine gelogen.

In den USA geben heute sogar General Mark Milley, der Vorsitzende des Joint Chiefs of Staff,5 und Aussen­mi­ni­ster Anthony Blinken⁶ zu, dass eine Rückeroberung der von Russland eingenommenen Gebiete unrealistisch ist. In einer vertraulichen Anhörung teilte das Pentagon dem Streit­kräf­te­aus­schuss des US-Repräsentantenhauses mit, dass die Ukraine nicht über die Kapazitäten verfüge, um die Krim zurückzuerobern.7

Erstens muss man auf gesellschaftlicher Ebene daran erinnern, dass sich die Menschen in diesen Regionen (Krim, Donbas und Südukraine) nicht als Ukrainer fühlen, weil die Ukrainer in Kiew sie nie als Ukrainer betrachtet haben. Unsere Sicht ist verzerrt, weil unsere Medien Gesetze wie das, das den Bürgern der Ukraine je nach ihrer ethnischen Herkunft unterschiedliche Rechte einräumt, unter­stützt haben.8 Wir weigern uns zu verstehen, dass das 2014 in Kiew errichtete Regime in diesen Regio­nen nie legitim war.

Man darf nicht vergessen, dass die Krim-Bevölkerung im Januar 1991 in einem Referendum erreicht hatte, dass sie von Moskau und nicht mehr von Kiew verwaltet werden sollte. Als die Ukraine unabhängig wurde, war die Krim also Moskau untergeordnet, ohne Teil Russlands zu sein. Es war die Ukraine, die 1995 beschloss, die Krim zu annektieren, indem sie ihre Verfassung gewaltsam abschaffte und ihren Präsidenten stürzte.⁹ Im Jahr 2014 nutzten die Krim­be­woh­ner einfach die Illegitimität der neuen Regierung in Kiew und die Abschaffung des Gesetzes über die Amtssprachen, um erneut den Anschluss an Moskau zu fordern. Es ist daher vorstellbar, dass die Ukraine, wenn sie die russischen Gebiete zurückerobern würde, auf sehr starken Widerstand in der Bevölkerung stossen würde, so als ob die Russen versuchen würden, den west­li­chen Teil der Ukraine einzunehmen.

Wahlzettel vom 20. Januar 1991. Als die Ukraine im Dezember 1991 unabhängig wurde, stand die Krim unter der Kontrolle Moskaus. Es war die Ukraine, die die Krim 1995 buchstäblich annektieren musste, indem sie den gewählten Präsidenten gewaltsam stürzte.10 (https://commons.wikimedia.org/wiki/File: 1991_Crimean_referendum_ballot.jpg)

Zweitens: Militärisch gesehen bestätigte sogar der Chef der ukrainischen Streitkräfte, General Salu­schnij, in einem Interview mit dem «Economist» am 15. Dezember 2022, dass die Ukraine nicht in der Lage sei, diese Gebiete zurückzuerobern, wenn sie nicht «300 Kampfpanzer, 600 bis 700 Schüt­zen­pan­zer, 500 Artilleriegeschütze» erhalte.11

Das Problem ist, dass die ukrainische Armee nicht auf einen Bewegungskrieg gegen einen mecha­ni­sier­ten Gegner vorbereitet wurde. Sie wurde seit 2014 von der Nato modernisiert und ausgebildet, litt aber unter der mangelnden Erfahrung des Westens in diesem Bereich, der nur mit technologisch unterlegenen Armeen und mit Situationen der Aufstandsbekämpfung konfrontiert war.

Aus diesem Grund gab es seit Beginn der russischen Offensive im Februar 2022 keine grossen Pan­zer­schlach­ten wie in Kursk im Jahr 1943. Die Ukrainer führen einen Infanteriekrieg in Schüt­zen­grä­ben oder in überbauten Gebieten. Dies war in Mariupol, Sjewjerodonezk oder Bachmut zu sehen. Ich schliesse daraus, dass die Bereitstellung von Panzern, umso mehr von westlichen Panzern, mit denen die Ukrainer nicht völlig vertraut sind, die Situation nicht grundlegend verändern wird.

Ich denke, dass die Ukraine zum jetzigen Zeitpunkt selbst mit erneuerter Ausrüstung nicht mehr in der Lage ist, die von den Russen eingenommenen Gebiete zurückzuerobern. Ich möchte ausserdem daran erinnern, dass es dem Westen um das Territorium geht, den Russen jedoch um das Potenzial. Wie ich bereits sagte, kann man zwar im besten Fall Gebiete zurückerobern, aber man erhält nie die ver­lo­re­nen Menschenleben zurück. Gegenwärtig drängt der Westen die Ukrainer, das ihnen ver­blie­bene Humankapital aufs Spiel zu setzen. Unsere Intellektuellen sehen darin ein grosses Romanepos (es ist leicht, mit dem Leben anderer Menschen Krieg zu führen), aber man muss bedenken, dass die Ukraine sich wieder aufbauen muss.

Nun hat die Ukraine seit 1990 bereits einen Grossteil ihrer Bevölkerung verloren, und es ist unwahr­schein­lich, dass diese Bevölkerung in ein korruptes und zerstörtes Land zurückkehrt. Zu diesem demo­gra­fi­schen Defizit wird der Verlust der treibenden Kräfte des Landes, die wir heute sehen, hin­zu­kommen.

Welchen Effekt werden die neu gelieferten Panzer auf den Kriegsverlauf haben?

Zunächst einmal gibt es einen politischen Effekt – im Westen. Als Selenskij nach Washington reiste, bat er um Abrams M1-Kampfpanzer. Die Amerikaner lehnten ab, forderten Deutschland aber auf, Leo­pard-2-Panzer zu liefern. Olaf Scholz antwortete ziemlich logisch, dass Deutschland nur dann Panzer liefern würde, wenn die Amerikaner zuerst zustimmen würden. Zunächst schlug ein amerikanischer Politiker vor, dass die USA nur einen einzigen M1-Panzer liefern sollten, um die deutsche Ent­schei­dung zu provozieren!12 Die Amerikaner haben sehr gut verstanden, dass das politische Ver­hal­ten Deutschlands unterwürfig und korrupt ist .

Die Fortsetzung wurde von der «Washington Post» enthüllt und von der europäischen Presse so gut wie gar nicht aufgegriffen.13 Und das aus gutem Grund! So genehmigte Joe Biden die Lieferung von 31 M1-Panzern. Wie erwartet genehmigte Scholz daraufhin den Reexport von Leopard-2 durch die europäischen Länder und gestattete die Lieferung einer bestimmten Anzahl dieser Panzer. Zu diesem Zeitpunkt erklärten die USA, dass die M1 zu viel Technologie enthielten, die nicht in die Hände der Russen fallen dürfe, und dass die Panzer nicht sofort geliefert werden könnten. Tatsächlich werden es neue Panzer sein, die speziell für die Ukraine gebaut werden, mit einem geringeren Schutz (da die Zusammensetzung der Panzerung der US-Version als geheim eingestuft ist), die erst in einem Jahr geliefert werden können!14

Mit anderen Worten: Die USA haben Scholz «über den Tisch gezogen»!!! Dies zeigt, wie es um die Beziehungen zwischen den Nato-Mitgliedern tatsächlich steht. Man weiss schon, dass es ein Nato-Mitglied war, das die Nord-Stream-Gaspipelines zerstört hat. Es ist also Deutschland, das den Preis für den von den Amerikanern gegen Russland geführten Krieg zahlt. Die Amerikaner haben Recht: Wenn man einen «Dummen» gefunden hat, kann man ihn auch gleich ausbeuten, vor allem, wenn das deutsche Volk das ohne Diskussionen akzeptiert! Jedes Land ist für sein Schicksal selbst ver­ant­wort­lich. Das gilt für die Ukrainer genauso wie für die Deutschen.

Auf einer militärischen Ebene sollte daran erinnert werden, dass die Ukrainer im Februar 2022 knapp 1000 Kampfpanzer hatten.15 Zu dieser Zahl kommen laut dem Westen und unseren Medien im Jahr 2022 noch mehr als 500 erbeutete russische Kampfpanzer16 und etwa 600 vom Westen erhal­tene Panzer hinzu. Darüber hinaus ist festzustellen, dass nur die Russen Panzer verlieren. Wir sollten also eine klare Überlegenheit der Ukraine haben! Doch heute bräuchte die Ukraine, wenn man Gene­ral Saluschnij glauben darf, 300 Panzer um durchzuhalten,17 und der Westen wird bis zum Sommer 2023 nur einen kleinen Teil dieser Zahl liefern können.

Ich bin selber Kommandant eines Leopard-2-Bataillons gewesen. Es ist eine formidable und her­vor­ra­gende Waffe. In der Schweiz können wir Panzerbesatzungen in weniger als vier Monaten ausbilden, also ist es durchaus möglich, dass die Ukrainer dasselbe tun.

Das Problem ist nicht wirklich die technische Ausbildung der Panzerbesatzungen. Der schwierigste Teil ist die Fähigkeit, den Panzer in das Gefechtssystem zu integrieren und mit operativer Kohärenz zu operieren.

Die Panzertechnik hat sich in den letzten 20 bis 30 Jahren nicht wirklich entwickelt. Die Bewaffnung, die Mobilität und der Schutz haben sich verbessert, aber nicht grundlegend verändert. Was sich wei­ter­entwickelt hat, ist die Technologie, die es ermöglicht, Panzer in ein Waffenverbundsystem zu inte­grie­ren (battlefield management system oder BMS). Dies gibt der gepanzerten Waffe ihre tatsächliche Wirksamkeit. Betrachtet man die verschiedenen Generationen des Leopard-2-Panzers, so stellt man eine radikale Veränderung zwischen den Ver­sio­nen A4-A5 der 1980er und 1990er Jahre und den Ver­sio­nen A6-A7 der Jahre 2005 bis 2020 fest.

Bei den Fahrzeugen, die der Ukraine versprochen werden, handelt es sich jedoch hauptsächlich um Leopard-2A4 und sogar Leopard-1, die nur eine alte Technologie (ohne BMS) aufweisen und deren Munition offenbar gegen die russischen T-90 nicht wirksam ist.18 Es fällt auf, dass der Westen seine modernste Ausrüstung nicht hergeben will, weil er den Ukrainern nicht vertraut und befürchtet, dass die Russen westliche Hochtechnologie wie die Chobham-Panzerung der britischen Challenger-Panzer in die Hände bekommen könnten.

Bei den Leopard-Panzern ist es noch dramatischer, denn die Deutschen haben festgestellt, dass die Vor­be­reitung der Panzer für die Ukraine länger dauern wird als erwartet (vielleicht ist dies eine Ant­wort auf die amerikanische Täuschung?) und werden nur Leopard-1-Panzer aus den 1960er und 1980er Jahren mit einer 105-mm-Kanone liefern – für die es an Munition mangelt!

Die Russen haben ihre Waffensysteme vollständig in den sogenannten «Aufklärungs-Schlag-Kom­plex» (Razvedivatel'no Udarnyy Kompleks oder RUK) integriert, bei dem es sich um ein Manage­ment­sy­stem handelt, das ihre Waffensysteme zu einem einzigen Kampfsystem zusammenfasst. Dadurch sind sie in der Lage, mit erheblich schwächeren Kräften als die Ukrainer effektiv zu kämpfen.

Nach der Vernichtung des grössten Teils ihres Potenzials im Jahr 2022 ist die ukrainische Armee heute eine bunte Ansammlung von Material unterschiedlicher Herkunft, mit unterschiedlichen Fähig­kei­ten und Logistikketten. Das Problem der Ukrainer ist nicht wirklich der Mangel an Waffen, son­dern die Fähigkeit, diese in eine optimale und effiziente Führungsstruktur zu integrieren. Ein Beispiel dafür ist die Haubitze M777, die vom Westen als «Wunderwaffe» gesehen wurde, aber ihr volles Poten­zial nicht ausnutzen konnte, da sie nur als «normale» Haubitze eingesetzt wird.19

Das ist auch das Problem der Raketenabwehrkapazitäten. Seit dem 2. März berichten unsere Medien, dass die Russen ihre Raketenreserven erschöpft haben. Wir hielten es daher nicht für sinnvoll, den Ukrainern Raketenabwehrsysteme zu geben. Ab Oktober 2022, nach dem Bombenanschlag auf die Kertsch-Brücke, begannen die Russen, die elektrische Infrastruktur zu zerstören (wie es die Nato in Serbien, die Amerikaner im Irak, in Syrien und in Libyen getan hatten). Der Westen schickte daher dringend Luftabwehrraketen. Aber diese Waffensysteme, die aus mehreren Ländern stammen, sind nicht wirklich interoperabel und befinden sich nicht in einem integrierten Kampfführungssystem. Das Ergebnis: Bei jedem Angriff werden mehrere Raketen auf ein einziges Ziel abgefeuert. Die Russen haben das Problem sehr gut verstanden und schicken mit ihren Raketen «Lockvögel» ins Rennen. Dadurch feuern die Ukrainer bei jedem russischen Angriff viel mehr Raketen ab als nötig, und ihr Potenzial nimmt rapide ab.

Letztendlich konnte das westliche Material nicht mit der russischen Fähigkeit, sie zu zerstören, mithalten. Am 24. Januar kündigte Estland an, dass es alle seine 155-mm-Haubitzen – das heisst 24 FH-70 – an die Ukraine verschenken würde.20 Eine Woche später, am 31. Januar, bot Frankreich 12 CAESAR-Haubitzen an, zusätzlich zu den 18, die es bereits an die Ukraine geliefert hatte.21 Laut der Website «Moonofalabama», die die Ankündigungen des russischen Generalstabs zusammenzählte, soll die russische Armee in derselben Woche 40 gezogene Haubitzen, 32 selbstfahrende Haubitzen und 8 Mehrfachraketenwerfer zerstört haben.22 Diese Zahlen sind schwer zu bestätigen, zeigen aber, dass die westlichen Waffenlieferungen kaum ausreichen, um die ukrainischen Verluste auszugleichen.

Welche Folgen wird das auf die Zahl der Toten und Verwundeten haben?

Wir haben die Russen in die Lage gebracht, das gesamte ukrainische Potenzial systematisch zer­schla­gen zu müssen. Die Hauptverantwortlichen dafür sind diejenigen, die uns verweigert haben, das Massaker an Zivilisten im Donbas zwischen 2014 und 2022 zu verurteilen, die uns über das Minsker Abkommen desinformiert haben, damit es nicht umgesetzt wird, und die, die die wahren Gründe für die russische Intervention verschwiegen haben: Es sind unsere Medien, die dogmatisch und ideo­lo­gisch sind und vom Blut anderer leben.

Von Beginn ihrer Operation an war es sehr klar, dass die Russen die Verluste auf beiden Seiten mini­mie­ren wollten. Dies hatte das Pentagon zu Beginn des Konflikts festgestellt, wie das US-Magazin «Newsweek» berichtete.23 Dies wurde am 23. Januar dieses Jahres auf der ukrainischen Website «Mriya» von Oleksej Arestowitsch, enger Berater von Selenskij, bestätigt: Die Russen «versuchten, einen intelligenten Krieg zu führen», indem sie versuchten, die Verluste so gering wie möglich zu halten. Bei «den wenigen, die Widerstand leisteten […], eliminierten sie sie nicht einmal, sondern boten an, sich zu ergeben, die Seiten zu wechseln, zu verstehen etc. Sie wollten niemanden töten24

Heute haben die Russen verstanden, dass die Westmächte, auch wenn es einen Ver­hand­lungs­pro­zess gäbe, diesen nutzen würden, um den Konflikt einzufrieren und ihn später wieder aufzunehmen, wie sie es mit dem Minsker Abkommen getan haben. Die Russen wissen, dass das Wort des Westens keinen Wert hat. 1990 hatte April Glaspie, die amerikanische Botschafterin im Irak, Saddam Hussein gesagt, dass die Amerikaner keine Einwände gegen eine Invasion in Kuwait erheben würden.25 Sie hatte gelogen. 2015 unterzeichneten die USA, Russland, China, Frankreich, das Vereinigte Königreich, Deutschland, die Europäische Union (EU) und der Iran das Wiener Abkommen (besser bekannt unter seiner angelsächsischen Abkürzung: JCPOA). Der Iran, Russland und China hielten sich an das Abkommen,26 der Westen nicht.27 Im Jahr 2020 hatten sich die Amerikaner und die Taliban auf ein Datum für den Abzug der USA geeinigt.28 Die Amerikaner hielten sich nicht an ihr Wort und verschoben das Datum einseitig um mehr als vier Monate. Und im November 2022 bestä­tig­ten Angela Merkel und François Hollande gegenüber Russland, dass Deutschland und Frankreich Länder sind, deren Wort wertlos ist …

Bevor wir an den Verhandlungstisch gehen, muss also erst einmal wieder Vertrauen aufgebaut werden. Waffenlieferungen tragen dazu nicht bei. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Westen die gleiche Position vertritt wie der Schweizer Botschafter in Kiew, der Verhandlungen als «Prämie für den Aggressor» sieht!29 Zum Glück denken die Taliban, die Syrer, die Ägypter, die Iraker, die Libanesen, die Libyer und viele andere nicht so, denn dann könnte man die Vereinten Nationen schlicht­weg abschaffen!

Da niemand im Westen dieses Vertrauen wiederherstellen will, werden die Russen das ukrainische Potenzial systematisch zerstören. Im Oktober 2022 erklärte General Surowikin, der Befehlshaber der Streitkräftegruppe im Gebiet der militärischen Sonderoperation in der Ukraine: «Wir haben eine andere Strategie. […] Wir suchen nicht nach einer hohen Vorwärtsgeschwindigkeit, wir schonen jeden einzelnen unserer Soldaten und ‹zermalmen› methodisch den vorrückenden Feind30

Im Gegensatz zu dem, was unsere «Experten» sagen, hat die Ukraine ein enormes Personalproblem. Sie hat seit Februar 2022 acht Mobilmachungsaktionen durchgeführt und kommt nun an das Ende ihres Potenzials und ist gezwungen, auf die Zwangsrekrutierung ihrer Bürger zurückzugreifen. Diese Personalkrise ist nicht neu und hat die ukrainische Armee dazu veranlasst, ein härteres Gesetz gegen Desertion und Dienstverweigerung zu fordern.31 Dieses Gesetz wurde von Selenskij im Januar 2023 unterzeichnet.32

Ein Neonazi-Politiker aus der Westschweiz hatte mich als «Putinversteher» bezeichnet, weil ich auf die Selbstmorde in der ukrainischen Armee vor 2022 hingewiesen hatte. Heute kann er seine Schimpf­wör­ter an britische Parlamentarier richten, weil diese selbst festgestellt haben, dass die Selbstmordrate dort alarmierend hoch ist.33 Wir haben also schwachsinnige Politiker, die sich selbst mit ihren Lügen blenden, anstatt die Probleme vorauszusehen!

Die Zwangsrekrutierungen scheinen in erster Linie Minderheiten zu betreffen, insbesondere die magya­ri­sche Minderheit.34 Das hat Ungarns Zorn erregt.35 Heute sind 97 % der Ungarn gegen die EU-Sanktionen gegen Russland.36

Was derzeit geschieht, ist, dass nicht nur das ukrainische Militärpotenzial langsam zermahlen wird, sondern dass die Verluste an Menschenleben den Wiederaufbau der Ukraine über ein oder zwei Gene­ra­tio­nen hinweg beeinträchtigen könnten. Die Kombination aus einer dezimierten Erwerbs­be­völ­ke­rung, zerstörter Infrastruktur und verstärkter Emigration droht, die Ukraine zu einem Land zu machen, das am Tropf hängt, mit Kosten, die der Westen kaum lange tragen kann.

Die deutsche Aussenministerin Baerbock hat in einer Rede vor dem Europarat gesagt: «Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland.» Seither versucht man, diese Aussage zu korrigieren, dass man nicht im Krieg sei, sondern nur die Ukraine bei der Selbstverteidigung unterstütze. Ist Deutschland nicht schon lange im Krieg gegen Russland? Die Aussage von Baerbock gibt doch die wahren Ziele des Westens bekannt, nicht primär der Ukraine zu helfen, sondern Russland zu bekämpfen und niederzuringen?

Seit 2014 weiss man, dass der Westen versucht, nicht die Ukraine zu verteidigen, sondern Russland zu zerstören.37 Das hatte auch der französische Wirtschaftsminister Bruno Lemaire am 1. März 2022 bekräftigt, der von einem «totalen Krieg» gesprochen hat.38 Es ist also nichts Neues und wurde bereits Anfang Februar 2022 in dem demokratisch orientierten US-Medium «Jacobin» erläutert.39

Im März 2019 hat Oleksej Arestowitsch, enger Berater von Selenskij, in einem Interview mit dem ukrai­ni­schen Sender «Apostrof» sehr deutlich die Mechanik der Ereignisse erklärt.40

Das Ziel der Ukrainer ist es, der Nato beizutreten. Einige Nato-Mitglieder sind jedoch sehr zurück­hal­tend, da die bestehenden Spannungen mit Russland bedeuten, dass das Risiko, Artikel 5 aktivieren zu müssen, hoch ist. Das ist in etwa so, als würde man eine Versicherung für ein Risiko abschliessen, das mit einer Wahrscheinlichkeit von 100 % eintritt! Die Lösung besteht also darin, dass Russland in einen Konflikt hineingezogen wird, der seinen endgültigen Fall herbeiführt. Arestowitsch sah diese Konfrontation sogar für 2021 bis 2022 vor!

Das Schema dieser Strategie wurde von der Rand Corporation in einem Dokument mit dem Titel «Extending Russia: Competing from Advantageous Ground» entwickelt: Es ging darum, einen Vor­wand zu finden, um Russland mit Sanktionen zu belegen, die so hoch sind, dass seine Wirtschaft sie nicht überleben würde. Um dies zu erreichen, wird die Ukraine als «Köder» benutzt. Zusam­men­fas­send lässt sich sagen, dass dies das Muster ist, das im Februar und März 2022 zu beobachten war.

Das Problem ist, dass die westlichen Politiker die Warnungen desselben Dokuments nicht beachten wollten, in dem davor gewarnt wurde, dass dies «zu unverhältnismässigen menschlichen Verlusten, Gebietsverlusten und Flüchtlingsströmen für die Ukraine führen könnte» und dass diese Strategie «die Ukraine in einen unvorteilhaften Frieden drängen könnte».41

Im Klartext: Die westlichen Länder und die Ukraine haben sich auf eine Strategie eingelassen, von der alle schon 2019 wussten, dass die Ukrainer den Preis dafür zahlen würden! Die Ukraine wurde miss­braucht, um zu versuchen, Russland zu vernichten. Gleichzeitig sollte durch Gespräche zur Förderung der Entwicklung von Unabhängigkeitsbewegungen Russland zerstückelt (der von den Amerikanern offiziell verwendete Begriff lautet: dekolonisieren) werden.42

So haben die Sanktionen, die die russische Bevölkerung, einschliesslich der Auslandsrussen,43 wie Flugverbindungen oder den Warenverkehr betreffen, Wladimir Putins Aussagen, dass der Westen versuche, Russland zu zerstören, nur bestätigt.44 Die Massnahmen des Westens haben daher nur das Vertrauen der russischen Bevölkerung in ihre Führung gestärkt. Die Popularität von Wladimir Putin, die im September 2022 bei 77 % lag, stieg im Januar 2023 auf 82 %!

Es war ein strategischer Fehler, Russland nicht zum Jahrestag der Befreiung des Lagers Auschwitz ein­zu­laden, sondern Vertreter einer Regierung, die die «Taten» von Stepan Bandera, einem Kolla­bo­ra­teur der Nazis während des Zweiten Weltkriegs, feiert. Eine weitere Gelegenheit für die Europäer, der Grossväter von Ursula von der Leyen, Olaf Scholz oder Chrystia Freeland zu gedenken. Das hat sogar Arno Klarsfeld schockiert, einen Nazijäger, der Russland nicht wohlgesonnen ist.45

Es ist offensichtlich, dass man von Seiten der Nato eine Eskalation des Krieges anstrebt. Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, äusserte sich in einem Interview, dass man eine Atom­macht, also Russland, nicht besiegen könne. Wie beurteilen Sie diese Aussage?

Zunächst einmal müssen wir mit den Begriffen genau sein. Einige Nato-Länder sind in unter­schied­li­chem Masse in diesen Konflikt verwickelt, aber nicht die Nato als Bündnis oder als Struktur.

Zweitens glaube ich nicht, dass die Nato-Staaten eine Eskalation herbeiführen wollen. Ihr Problem ist, dass sie in ihrem Narrativ gefangen sind und nicht wissen, wie sie daraus ausbrechen können, ohne ihr Gesicht zu verlieren. Wir haben bereits in früheren Interviews gesehen, dass das offizielle Nar­ra­tiv lautet, dass die Ukraine den Krieg gewinnt, und Russland ihn verliert. Doch heute zeigt die Realität auf dem Schlachtfeld, dass dies schon lange nicht mehr stimmt. Gerade heute bräuchte man ein glaub­wür­di­ges neutrales Land, das den Ukrainern, dem Westen und den Russen einen Ausweg aus dieser Krise bieten könnte.

Ich bin mir nicht sicher, ob man eine Atommacht nicht besiegen kann. Niemand ist unbesiegbar. Es stellen sich zwei Fragen: «Zu welchem Preis?» und «Steht der zu zahlende Preis in einem ange­mes­se­nen Verhältnis zu dem Nutzen, den man daraus zieht?».

Nehmen wir an, dass Russland eine Diktatur ist, was sogar erbitterte Anti-Putin-Analysten nicht behaup­ten wollen.46 Ist ein Regimewechsel in Russland die Zerstörung Europas wert? Ist das nicht ein Problem, das die Russen selber entscheiden und lösen müssen? Nun fällt auf, dass die Popularität Wladimir Putins nur zunimmt und die Russen anscheinend keinen Regimewechsel anstreben. Tat­säch­lich hat die im Westen offen zu Tage getretene Russophobie das Vertrauen der russischen Bevöl­ke­rung in Putin nur noch weiter gestärkt. Man fragt sich fast, ob primitive und schwachsinnige Arti­kel über den «Fetisch» des Buchstabens «Z» auf russischen Panzern47 nicht dazu dienen sollen, den Widerstandswillen des russischen Volkes zu stärken!

Es ist leicht, mit dem Geld und dem Leben anderer Menschen Krieg zu führen.

Wie hat Russland auf die verstärkten Waffenlieferungen reagiert, und was könnte von russischer Seite die nächste Eskalationsstufe sein?

Russlands Ziel ist es, die Bedrohung für die Menschen im Donbas und in Russland zu neutralisieren. Je mehr man also diese Bedrohung schürt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Kon­flikt beendet wird. Je grösser die Reichweite der Waffen ist, die man an die Ukraine liefert, desto mehr muss Russland die Tiefe des ukrainischen Territoriums kontrollieren. Das sagte Aussenminister Sergej Lawrow im Juli 2022,48 und das wiederholte er am 2. Februar.49 Es wäre gut, wenn wir auf das hören würden, was die Russen sagen, anstatt überrascht zu sein, wenn sie das tun, was sie ange­kün­digt haben!

Derzeit tun wir alles, was wir können, um Russland dazu zu bringen, die Ukraine vollständig zu zer­stö­ren. Was die Frage der «Angreiferprämie» betrifft, so hätte man zwischen 2014 und 2022 darüber nachdenken und das Minsker Abkommen umsetzen müssen, was niemand – vor allem die Ukrainer – tun wollte!

Die Ukraine verlangt jetzt zusätzlich Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe von den Nato-Staaten. Halten Sie das für ein mögliches Szenario?

Das westliche Verhalten ist so irrational, dass alles möglich ist! Wir werden von fanatischen Dummköpfen regiert, die das Massaker an der russischsprachigen Zivilbevölkerung im Donbas zwischen 2014 und 2022 hingenommen haben, die Minsker Vereinbarungen unter­zeich­net haben, obwohl sie wussten, dass sie diese nicht einhalten würden. Wie kann man sich vorstellen, dass sie in wenigen Monaten gereift sein könnten?

Das Problem, den Ukrainern Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe zur Verfügung zu stellen, besteht darin, dass sie weder über Flugplätze noch über sichere Militärhäfen zum Auftanken verfügen. Sie müssten daher auf Nato-Territorium stationiert werden. Mit anderen Worten würde dies eine direkte Beteiligung der Nato-Staaten an diesem Konflikt bedeuten.

Die westlichen Länder sind nicht wegen der Waffenlieferungen involviert, sondern wegen ihrer Ein­bin­dung in die Logistikkette der ukrainischen Armee. Wir befinden uns derzeit bereits an der Grenze, da die westlichen Länder, insbesondere Frankreich und die USA, technisch gesehen Teil der ukrai­ni­schen Logistik sind, indem sie beschädigte Waffen reparieren und einen Munitionsstrom bereit­stel­len.

Warum gibt es ausser Ihnen und General Kujat keine vernünftigen Militärs, die sich für einen sofortigen Stopp des Krieges einsetzen, um dem Blutvergiessen ein Ende zu setzen?

Hier muss man nuancieren. Zunächst einmal muss daran erinnert werden, dass die Streitkräfte in einem Rechtsstaat in der Regel der politischen Macht untergeordnet sind. Das Militär führt die Ent­schei­dun­gen der politischen Macht aus, aber es ist nicht seine Aufgabe, die Politik zu machen. Dies erklärt, warum fast alle Militärs, die sich zu Wort melden, nicht mehr im Dienst sind.

Abgesehen davon lässt sich feststellen, dass Militärs im Allgemeinen eine differenziertere Sicht auf den Krieg haben als Politiker; dass angelsächsische Militärs eine ausgewogenere Sicht haben als ihre europäischen Kollegen; und dass Europäer aus dem «alten ­Europa» (Westeuropa) den Konflikt pro­fes­sio­nel­ler analysieren als ihre Kollegen aus dem «neuen Europa» (Osteuropa), wie Donald Rums­feld es ausdrücken würde.

Das Problem ist die geistige Unabhängigkeit, mit der das Militär arbeitet. Ein Militär muss mit den Realitäten des Feldes arbeiten, um das von der Politik vorgegebene Ziel zu erreichen. Das Problem ist, dass im Westen niemand weiss, was in der Ukraine erreicht werden soll. In der Schweiz scheint die Meinung des Militärs der Propaganda aus Kiew nachgebildet zu sein. Zusammenfassend könnte man sagen, dass je weniger operative Erfahrung man hat, desto wichtiger ist das, was Kiew sagt, in der Analyse.

Hat das Schweizer Militär Sie einmal kontaktiert, um von Ihren Erfahrungen und Analysen zu profitieren?

Nein, niemals. Aber man muss auch die positive Seite sehen! Wenn ich die miserable Qualität des «Sicherheitsberichts Schweiz 2022» sehe, der im September veröffentlicht wurde,50 bin ich froh, dass ich nicht beteiligt war! Ich bedauere nur, dass dieser Bericht nicht die richtigen Schlüsse zieht und letztendlich den Interessen der Schweiz zuwiderläuft!

Herr Baud, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Interview Thomas Kaiser

* Jacques Baud hat einen Master in Ökonometrie und ein Nachdiplomstudium in internationaler Sicherheit am Hochschul­institut für internationale Beziehungen in Genf absolviert und war Oberst der Schweizer Armee. Er arbeitete für den Schweizerischen Strategischen Nachrichtendienst und war Berater für die Sicherheit der Flüchtlingslager in Ost-Zaire während des Ruanda-Krieges, arbeitete u.a. für die Nato in der Ukraine und ist Autor mehrerer Bücher über Nachrichtendienste, asymmetrische Kriegsführung, Terrorismus und Desinformation.

 

Dieses Interview ist hier auch in englischer Sprache und hier in französischer Sprache verfügbar.

 

¹ Oleksiy Kuzmenko, « The Azov Regiment has not depoliticized », Atlantic Council, 19 mars 2020 (https://www.atlanticcouncil.org/blogs/ukrainealert/the-azov-regiment-has-not-depoliticized/)

² https://youtu.be/bEv4-IJsl9k?t=414

³ Matthew Loh, «Russia is prepared to drop its demand for Ukraine to be ‹denazified› from its list of ceasefire conditions: report», Business Insider, 29 mars 2022 (https://www.businessinsider.com/russia-nazi-demand-for-ukraine-dropped-in-ceasefire-talks-2022-3).

⁴ Vlasta Lazur, « «Денис Кірєєв – співробітник ГУР, якого вбили в автівці СБУ, а тіло викинули на вулицю». Інтерв'ю з Кирилом Будановим », Radio Svoboda, 22 janvier 2023 (https://www.radiosvoboda.org/a/вбивство-кірєєва/32233661.html?fbclid=IwAR3zfrvdT_41ghRz3SqR2VDotNb1Zw1Yo0LtQNXBpPiQBC3ZjVxUffTDOjg)

⁵ Caitlin McFall, «Milley urges Ukraine to negotiate with Russia, saying chances of total military victory ‹unlikely›», Fox News, 16 novembre 2023 (https://www.foxnews.com/politics/milley-urges-ukraine-negotiate-russia-saying-chances-total-military-victory-unlikely)

⁶ David Ignatius, «Blinken ponders the post-Ukraine-war order», The Washington Post, 24 janvier 2023 (https://www.washingtonpost.com/opinions/2023/01/24/blinken-ponders-post-ukraine-war-order/)

7 Alexander Ward, Paul McLeary & Connor O’Brien, «Ukraine can’t retake Crimea soon, Pentagon tells lawmakers in classified briefing», Politico, 1er février 2023 (https://www.politico.com/news/2023/02/01/ukraine-crimea-russia-pentagon-00080799)

8 «Нардеп від ‹Слуги народу» Семінський заявив про «позбавлення конституційних прав росіян, які проживають в Україні›», AP News, 2 juillet 2021 (https://apnews.com.ua/ua/news/nardep-vid-slugi-narodu-seminskii-zayaviv-pro-pozbavlennya-konstitutciinikh-prav-rosiyan-yaki-prozhivaiut-v-ukraini/)

⁹ https://youtu.be/CI22-w0i-RM

10 https://www.youtube.com/watch?v=CI22-w0i-RM

11 https://www.economist.com/zaluzhny-transcript

12 Tal Axelrod, «McCaul calls on US to send ‹just one› Abrams tank to Ukraine to spur European support», abc news, 22 janvier 2023 (https://abcnews.go.com/Politics/mccaul-calls-us-send-abrams-tank-ukraine-spur/story?id=96584865)

13 By Karen DeYoung, Dan Lamothe & Loveday Morris, « Short on time, Biden sought new Ukraine tank plan to break stalemate », The Washington Post, 28 janvier 2023 (https://www.washingtonpost.com/national-security/2023/01/28/inside-story-biden-ukraine-tanks/)

14 David Axe, « The Tungsten M-1—How Ukraine’s Tanks Will Differ From America’s », Forbes, 27 janvier 2023 (https://www.forbes.com/sites/davidaxe/2023/01/27/the-tungsten-m-1-how-ukraines-tanks-will-differ-from-americas/)

15 https://www.bbc.com/news/world-60798352

16 https://www.oryxspioenkop.com/2022/02/attack-on-europe-documenting-equipment.html

17 https://www.economist.com/zaluzhny-transcript

18 Thorsten Jungholt, « Bundeswehr-Kampfpanzern fehlt wirksame Munition », Die Welt am Sonntag, 26 avril 2015 (https://www.welt.de/politik/deutschland/article140083741/Bundeswehr-Kampfpanzern-fehlt-wirksame-Munition.html)

19 Alex Hollings & Sandboxx News, « Ukraine's troops have been highly effective with the M777 howitzer, but US troops can turn it into a 'giant sniper rifle' », Business Insider, 18 septembre 2022 (https://www.businessinsider.com/us-targeting-system-makes-m777-howitzer-highly-accurate-2022-9?r=US&IR=T)

20 Joe Saballa, « Estonia Sending All Its 155-mm Howitzers to Ukraine », The Defense Post, 24 janvier 2023 (https://www.thedefensepost.com/2023/01/24/estonia-sending-howitzers-ukraine/)

21 « La France va fournir douze canons Caesar supplémentaires à l'Ukraine », France 24, 31 janvier 2023 (https://www.france24.com/fr/europe/20230131-en-direct-macron-re%C3%A7oit-le-ministre-de-la-d%C3%A9fense-ukrainien-kiev-r%C3%A9clame-des-avions-de-combat)

22 https://www.moonofalabama.org/2023/01/Nato-continues-its-disarmament.html#more

23 William M. Arkin, « Putin’s Bombers Could Devastate Ukraine But He’s Holding Back. Here’s Why », Newsweek, 22 mars 2022 (https://www.newsweek.com/putins-bombers-could-devastate-ukraine-hes-holding-back-heres-why-1690494)

24 https://en.mriya.news/58331-they-didnt-want-to-kill-anyone-arestovich-spoke-about-the-beginning-of-the-nwo

25 « Confrontation In The Gulf – Excerpts From Iraqi Document on Meeting With U.S. Envoy », The New York Times, 23 septembre 1990) (https://www.nytimes.com/1990/09/23/world/confrontation-in-the-gulf-excerpts-from-iraqi-document-on-meeting-with-us-envoy.html).

26 Daniel Larison, « IAEA Confirms Iranian Compliance for the Fifteenth Time », The American Conservative, 31 mai 2019 (https://www.theamericanconservative.com/iaea-confirms-iranian-compliance-for-the-fifteenth-time/)

27 Mark Landler, « Trump Abandons Iran Nuclear Deal He Long Scorned », The New York Times, 8 mai 2018 (https://www.nytimes.com/2018/05/08/world/middleeast/trump-iran-nuclear-deal.html)

28 Agreement for Bringing Peace to Afghanistan between the Islamic Emirate of Afghanistan which is not recognized by the United States as a state and is known as the Taliban and the United States of America, state.gov, 29 février 2020 (https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/Agreement-For-Bringing-Peace-to-Afghanistan-02.29.20.pdf)

29 https://www.rts.ch/info/suisse/13567448-claude-wild-la-suisse-nest-pas-neutre-dans-le-conflit-en-ukraine.html

30 « Суровикин: российская группировка на Украине методично "перемалывает" войска противника », TASS, 18 octobre 2022 (https://tass.ru/armiya-i-opk/16090805)

31 « Ukraine’s Top General Supports Harsher Law for Deserters and Draft-dodgers », Kyiv Post, 20 décembre 2022 (https://www.kyivpost.com/post/5943)

32 « Zelensky Signs Controversial Law Toughening Punishment for Desertion in Army », AFP/Kiyv Post, 25 janvier 2023 (https://www.kyivpost.com/post/11498)

33 « Ukrainian soldiers are committing suicide due to war stress, says Duncan-Smith », Politics.co.uk, 16 janvier 2023 (https://www.politics.co.uk/parliament/ukrainian-soldiers-are-committing-suicide-due-to-war-stress-says-duncan-smith/)

34 Füssy Angéla, « Mint a barmokat, úgy fogdossák össze a férfiakat Kárpátalján – Nézze meg helyszíni videóriportunkat! », PestiSracok, 23 janvier 2023 (https://pestisracok.hu/mint-a-barmokat-ugy-fogdossak-ossze-a-ferfiakat-karpataljan-nezze-meg-helyszini-videoriportunkat/)

35 Chris King, « Shocking claims of ethnic Hungarians being forcibly drafted into Ukrainian military in Transcarpathia », Euro Weekly News, 24 janvier 2023 (https://euroweeklynews.com/2023/01/24/shocking-claims-of-ethnic-hungarians-being-forcibly-drafted-into-ukrainian-military-in-transcarpathia/);

36 Robert Semonsen, « 97% of Hungarians Reject Brussels’ Sanctions Against Russia », The European Conservative, 17 janvier 2023 (https://europeanconservative.com/articles/news/97-of-hungarians-reject-brussels-sanctions-against-russia/)

37 Seumas Milne, « It's not Russia that's pushed Ukraine to the brink of war », The Guardian, 30 avril 2014 (https://www.theguardian.com/commentisfree/2014/apr/30/russia-ukraine-war-kiev-conflict)

38 « Guerre en Ukraine : ‘‘Nous allons provoquer l’effondrement de l’économie russe’’, affirme Bruno Le Maire », Radio France, 1er mars 2022 (https://youtu.be/Ntzacqlm-Ac)

39 Branko Marcetic, « A US-Backed, Far Right–Led Revolution in Ukraine Helped Bring Us to the Brink of War », Jacobin, 7 février 2022 (https://jacobin.com/2022/02/maidan-protests-neo-nazis-russia-Nato-crimea)

40 « Predicted Russian - Ukrainian war in 2019 - Alexey Arestovich », YouTube, 18 mars 2022 (https://youtu.be/1xNHmHpERH8)

41 James Dobbins, Raphael S. Cohen, Nathan Chandler, Bryan Frederick, Edward Geist, Paul DeLuca, Forrest E. Morgan, Howard J. Shatz, Brent Williams, « Extending Russia : Competing from Advantageous Ground », RAND Corporation, 2019, p.100 (https://www.rand.org/pubs/research_reports/RR3063.html&usg=AOvVaw2E35ojBbRg6-xMic0-9WPs)

42 https://freenationsrf.org/

43 Angélique Négroni, « Comptes bancaires bloqués, insultes, vandalisme... Le quotidien des Russes de France », le Figaro, 22 avril 2022 (https://www.lefigaro.fr/international/comptes-bancaires-bloques-insultes-vandalisme-le-quotidien-des-russes-de-france-20220422)

44 « Address by the President of the Russian Federation », kremlin.ru, 21 septembre 2022 (http://en.kremlin.ru/events/president/news/69390)

45 https://youtu.be/I-yCq8M9ab0

46 Bruno Tertrais, « La chute de la maison Russie », Institut Montaigne, 13 décembre 2022 (https://www.institutmontaigne.org/analyses/la-chute-de-la-maison-russie)

47 Alexander Etkind, « Warum identifizieren sich Putins Anhänger mit dem mysteriösen Zeichen Z? », NZZ Am Sonntag, 29 janvier 2023 (https://www.nzz.ch/feuilleton/imperialismus-revanchismus-fetischismus-der-ukraine-krieg-ist-kein-krieg-zwischen-ethnien-sondern-zwischen-generationen-ein-gigantischer-oedipaler-konflikt-ld.1720903?reduced=true)

48 Andrew Roth, « Russia may seek to occupy more territory in Ukraine, says foreign minister », The Guardian, 20 juillet 2022 (https://www.theguardian.com/world/2022/jul/20/russia-may-seek-to-occupy-more-territory-in-ukraine-says-foreign-minister)

49 Jon Jackson, « Russia Responds to West Reportedly Giving Ukraine Longer-Range Weapons », Newsweek, 2 février 2023 (https://www.newsweek.com/russia-responds-west-reportedly-giving-ukraine-longer-range-weapons-1778546)