Auf den Gipfel des Wahnsinns: Die Energiespiele gehen in die nächste Runde
Erstveröffentlichung am 06.04.2021 auf
Die Bundesregierung spielt gerne mit der deutschen Energiesicherheit, und die EU
will jetzt auch noch russische Steinkohle verbannen. Wer meint, mit dem Aus für
Nord Stream 2 sei der Gipfel des Wahns erreicht, wird sich wundern. Wir gehen in
die nächste Runde.
von Dagmar Henn
Die Bundesregierung und die EU verhalten sich so, als liefe gerade ein
Wettbewerb um den größten anstellbaren Unfug, den sie unbedingt gewinnen
wollten. Der neueste Streich: jetzt auch noch auf aus Russland importierte
Steinkohle zu verzichten.
Augenblicklich kommt die Hälfte der in Deutschland verfeuerten Steinkohle aus
Russland. Das sind 14,5 Millionen Tonnen jährlich, wovon die Hälfte zur
Stromerzeugung, die andere Hälfte für die Stahlproduktion genutzt wird. Nach
einem Bericht des Wirtschaftsministeriums, den Business Insider zitiert, soll
dieser Anteil in den nächsten Wochen "durch Vertragsumstellungen" auf 25 Prozent
sinken. Aber selbst ein Viertel ist noch lange nicht null.
Weshalb der besagte Bericht auch davon ausgeht, dass spätestens nach den vier
bis sechs Wochen, für die die vorhandenen Vorräte reichen sollen, die Folgen
spürbar würden: "Nach einem Verbrauch der Vorräte wären voraussichtlich einzelne
Kraftwerke abzuschalten", heißt es.
Aus den wenigen Zitaten, die aus diesem Bericht veröffentlicht wurden, ist
allerdings nicht zu ersehen, ob sie dabei auch die Möglichkeiten miteinbezogen
haben, dass nicht nur Kohlelieferungen entfallen, sondern womöglich auch jene
von Erdgas. Schließlich ist noch lange nicht klar, ob die Bundesregierung sich
aufraffen kann, für Lieferungen in Rubel zu bezahlen.
Durch die Ablösung der deutschen Niederlassung von Gazprom vom Mutterkonzern und
dessen Quasi-Enteignung durch Bundeswirtschaftsminister Habeck könnte eine
Situation entstehen, die dieses Problem noch verschärfen kann – die
Lieferverträge bestehen mit ebendieser Tochter, die dann zwar unter Kontrolle
der Bundesnetzagentur steht, aber leider, leider keinerlei Verfügungsgewalt über
russische Gasvorkommen hat. Mit dem Mutterkonzern selbst gibt es allerdings
keine Verträge; die müssten dann zu neuen Preisen neu abgeschlossen werden.
Definitiv noch ein Punkt im GAU-Wettbewerb.
Nun beruht die Versorgungssicherheit im deutschen Stromnetz seit der Abschaltung
der meisten Kernkraftwerke auf zwei Säulen, Kohle- und Gaskraftwerken, die dafür
sorgen müssen, dass durch die unvermeidlichen Schwankungen der geliebten
erneuerbaren Energie nachts oder bei Windstille nicht das Licht ausgeht. Die
selbstgemachten Risiken bei der Gasversorgung, die letztlich nur darauf beruhen,
dass man nicht willens war, der Schlächterei im Donbass Einhalt zu gebieten und
dann meinte, Russland dafür strafen zu müssen, wenn es das tut, werden nun also
noch durch zusätzliche Risiken bei der Kohleversorgung ergänzt.
Leider ist auch Kohle ein umworbenes Gut, und Hauptabnehmer wie -produzent ist
ausgerechnet China. In der EU wird kaum noch Steinkohle gefördert; und die
größten Kohleförderer nach China liegen auch nicht um die Ecke – sie heißen
Indonesien, Indien, Australien und die USA. Dabei könnte ein Versuch, Ersatz für
russische Kohle zu finden, bei einigen Kandidaten auf dieser Liste auf
geopolitische Schwierigkeiten stoßen.
Abgesehen davon, dass China und Indien ihre Kohle weitgehend selbst verbrauchen,
könnten sie wenig geneigt sein, den Deutschen aus einer Klemme zu helfen, in die
sie sich mit ihrer Politik gegen Russland selbst befördert haben. Selbst bei
Indonesien müsste man sich das fragen. Australien würde sich vielleicht freuen,
weil China seine Kohle nicht mehr importiert, seit sie mit Schwung auf den
antichinesischen Zug aufgesprungen sind; das könnte auch das Problem lösen, dass
die Hälfte des deutschen Kohleverbrauchs in die Stahlproduktion geht und dafür
bestimmte Kohlequalitäten gebraucht werden, die es nicht überall gibt. Aber es
gibt auf der ganzen Welt keinen Lieferanten, der weiter entfernt liegt, was sich
beim Preis bemerkbar machen dürfte.
Natürlich kann man Kohle auch in den USA kaufen statt in Russland. Dabei müsste
eigentlich allen, die so groß tönen, eine Abhängigkeit von russischen
Energielieferungen sei ein Sicherheitsrisiko, klar sein, dass eine Abhängigkeit
von den Vereinigten Staaten dann den Teufel mit Belzebub austreibt. Denn während
Russland und zuvor die Sowjetunion eine Geschichte verlässlicher Lieferungen
haben, selbst in problematischen Phasen, sind die USA für ihre Neigung zu
Erpressungen aller Art bekannt. Da ist es schon im besten Fall begrenzt
intelligent, russische Gaslieferungen durch US-amerikanische zu ersetzen; dem
noch eine Abhängigkeit bei Kohle hinterherzuschieben, spottet jeder
Beschreibung.
Währenddessen fordert die ukrainische Regierung lautstark von den Westeuropäern,
ganz auf russische Gaslieferungen zu verzichten. Natürlich erklärt sie
mitnichten, selbst das Gleiche tun zu wollen. Dann hätte sie ja kein Gas mehr.
Aber wir Westeuropäer sollen gerne frieren, um der ukrainischen Kleptokratie den
Pelz zu retten. Was ein bisschen widersprüchlich ist. Schließlich wurde
jahrelang intrigiert, aus Kiew wie aus Warschau, um Nord Stream 2 zu Fall zu
bringen, und nach wie vor kassiert Kiew jährlich etwa eine Milliarde für die
Durchleitung, also sollten sie beide zufrieden sein, nachdem Scholz und Co. die
deutsche Energiesicherheit ihrem russophoben Wahn geopfert haben. Angeblich
sollen sie zurzeit sogar besonders viel Gas durch die Leitung lassen.
Wobei, die deutsche Politik ist an dem ukrainischen Irrsinn alles andere als
unschuldig; sofort nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde eifrigst die Rückkehr
der in Bayern aufbewahrten Nazikollaborateure und ihrer Nachkommen in die
Ukraine gefördert; Julia Timoschenko mit ihrer BDM-Frisur, die ihren Reichtum
durch schlichten Raub aus der Pipeline erwirtschaftete, wurde zur
Sympathieträgerin hochgeschrieben, und die Putschregierung 2014 wurde von
Steinmeier als Außenminister gestützt, wie jede ukrainische Regierung seitdem.
Dass sich jetzt deren Vertreter, Herrn Melnyk eingeschlossen, benehmen, als
gehöre ihnen die Welt und nicht das ärmste Land Europas, ist natürlich ein wenig
unangemessen für eine innereuropäische Kolonie; aber diese Schlange hat man an
der eigenen Brust genährt.
Übrigens hat dieses Reptil gleich zwei Mütter. Oder, so könnte man es auch
sagen, eine ausgeprägte Leidenschaft dafür, jede Hand zu beißen, die es füttert.
Schließlich wurde die Ukraine auch von Russland jahrzehntelang gepäppelt, durch
die Übernahme des Anteils der sowjetischen Schulden und durch besonders günstige
Gaslieferungen. Wofür sich die Ukraine mit dem Donbass-Krieg bedankte.
Schon die Existenz von Nord Stream 1 ist ein Produkt dieses ukrainischen Wahns,
wobei da handfestere Gründe zu vermuten sind. Als die ukrainische Pipeline in
den 90ern saniert werden sollte, hatte die ukrainische Regierung das abgelehnt,
mit der Begründung, in dem Konsortium, das die Sanierung finanzieren wollte, sei
auch ein russisches Unternehmen. In Wirklichkeit dürfte es daran gelegen haben,
dass ausländische Betreiber, russisch oder nicht, dann auch Kontrolle über diese
Pipeline ausüben wollen, was es wesentlich schwerer machen dürfte, Gas schlicht
zu klauen.
Hätte man den ukrainischen Räuberbaronen rechtzeitig Einhalt geboten, gleich von
welcher Seite, wir befänden uns vermutlich selbst bei massivsten
US-amerikanischen Anstrengungen nicht in dem Schlamassel, in dem wir heute
stecken. Aber die Ukraine ist eine Kolonie und wird von Kompradoren regiert, und
unter solchen Bedingungen spült es immer die Korruptesten und die
Gewissenlosesten nach oben. Denen das Wohl des eigenen wie das jeden anderen
Landes gleich ist, nur der Zustand des eigenen Kontos nicht, weshalb man sie
problemlos gleich in zwei Richtungen als Waffe einsetzen kann.
Denn faktisch, das kann man an den Energiespielen sehen, führen die USA einen
Krieg gegen zwei Seiten in Europa, gegen Russland und gegen Westeuropa zugleich.
Nur, dass die Westeuropäer und insbesondere wir Deutschen das noch nicht
begriffen haben und stattdessen den Wettbewerb um den größten anstellbaren Unfug
weiter laufen lassen.
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